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Sandra Gugic: Astronauten

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>>Rezension

Sie starrt aus dem Fenster, ihr Körper ist angespannt. Die Kamera liegt auf ihrem Schoß, aber sie rührt sie nicht an, obwohl das Panorama anders ist als sonst. Wir haben die Stadt verlassen. Die Straße ist rechts und links von Bäumen und Feldern gesäumt, die Landschaft bleibt flach, eine scheinbar unendliche Gerade, die nach einer Weile in ein Waldstück übergeht. Ich könnte das Pedal durchdrücken, weiter beschleunigen, immer geradeaus, da ist dieser Gedanke, wie eine fixe Idee, dass wir ohnehin irgendwann wieder an unserem Ausgangspunkt landen werden. Das Licht beschleunigt mit uns, flirrt zwischen den Baumreihen, mischt orangerote Flecken zwischen die Schattierungen von Grün. Jede Sekunde birgt die Möglichkeit, das Schweigen zu brechen, aber wo anfangen. Mir sind Dinge, Sätze, Tage verlorengegangen, um Minuten, Stunden, Tage später wieder aufzutauchen, wo ich sie nicht vermutet habe.
Jetzt beginnt sie zu sprechen, ihr Blick folgt der gelben Fahrbahnlinie, die in der Horizontlinie verschwindet. Wenn sie erzählt, ist es, als würde sie weit weggehen, sich in die lange verwischte Pupille ihres linken Auges zurückziehen. Ihre langen, schmalen Finger wandern gedankenverloren auf ihrem Unterarm auf und ab, die Geometrie der hellen, geraden Linien von Narben, die mich an Striche erinnern, die Gefangene in die Wände ihrer Zelle kratzen, während ihre Geschichte uns in einen Garten führt: Sie ist vielleicht acht Jahre alt, schleppt große, schwere Tontöpfe aus dem Keller ins Freie, um sie mit Erde zu füllen und einzelne Würmer, die sie zuvor im Garten ausgegraben hat, in die Erde der Tontöpfe zu legen. Die Würmer versuchen, sich in die von ihr festgeklopfte Erde zu graben, mühevoll, Stück um Stück, bis sie nicht mehr weiterkommen, weil die Erde zu hart ist. Sie beschreibt, wie die Würmer auf diese Weise, halb in der Erde und halb auf deren Oberfläche, in der Sonne vertrocknet sind, wie sie ihnen dabei zugesehen hat. Sie beginnt zu lachen, während sie weitererzählt, dass sie es wieder und wieder versucht hat, weil sie nicht verstehen konnte oder wollte, dass die Erde zu hart war. Sie erzählt, wie sie die toten Würmer in kindlicher Verzweiflung beweint hat. Sie lacht heftiger, als ich sage, das sei vielleicht der Moment der Menschwerdung, wenn man etwas haben will, etwas besitzen, nur für sich. „Menschwerdung“, ihr Lachen nimmt meines mit. „Menschwerdung“, wiederholt sie, „du hast keine Ahnung, wovon du redest.“
Im nächsten Moment deutet sie aufgeregt nach vorn. Am Rande der Fahrbahn hinter dem gelben Seitenstreifen ist ein Tier, es steht regungslos, duckt sich für einen Moment, als wir vorbeifahren, wie ein Sprinter, der auf den Startschuss wartet. Wir fahren zu schnell, um zu erkennen, was es ist, vielleicht eine Katze. Im Rückspiegel sehe ich noch, wie das Tier knapp hinter uns, zwischen zwei nachfolgenden Wagen, über die Fahrbahn flitzt. Mara dreht sich um, ich richte meinen Blick wieder auf die Straße, und da schiebt sich etwas dazwischen, ein Bild stellt sich quer, aus dem Zusammenhang gerissen, eine Szene aus einem Schwarz-Weiß-Film, dessen Titel mir nicht einfallen will. Einer, der sagt: Be a Mensch. You know what that means?

(S. 84 – 85)
© 2015 C.H. Beck Verlag, München.

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