Leseprobe: Frtz Popp - Keine Engel

Der "kleine Spaziergang", es war eher eine Art Waldlauf, dauerte drei Stunden. Nora flog ihm fast voraus, er stolperte ihr nach. Reiher und Huhn, dachte er, das kann nicht gut gehen.
Sie halten schlussendlich an einer kleinen Aussichtsplattform, wo man direkt auf die Linzergasse und die rechte Altstadt sehen kann. Unter ihnen liegt der Sebastians-Friedhof.
"Das ist einer meiner Lieblingsplätze", sagt Gregor, nachdem er verschnauft hat, und zeigt nach unten.
"Was, ein Friedhof?" Nora sieht ihn spöttisch an.
"Na ja, er ist ja schon aufgelassen, nicht mehr in Betrieb, mehr ein Park."
Sie wartet, dass er weiterspricht.
"Ich habe ihn öfter abgesperrt."
"Sind Sie Nebenerwerbsfriedhofswärter?"
"Pater Franz hat mich darum gebeten, wenn er nicht da war. Pater Franz ist der Rektor der Kirche und ein Vertrauter meiner Tante. Sie erinnern sich an sie?"
"Waren wir nicht schon einmal per Du?" Nora kichert und sieht ihn fordernd von unten an.
"Kurz, ja, ich glaube, ja, kann sein." Gregor erinnert sich deutlich.
"Und ich glaube, jetzt ist der Zeitpunkt, das zu erneuern. Ich heiße Nora und du?"
Sie tritt näher, gibt ihm die Hand und grinst unverschämt.
"Gregor, äh, angenehm." Eine komische Situation, denkt er.
"Gregor, genau, ich erinnere mich. Und haben wir uns nicht auch schon mal geküsst?" Ihre Stimme klingt fordernd, provozierend.
Automatisch blickt sich Gregor um, ob irgenwo der Verfolger lauert.
"Nein", lacht Nora, "diesmal sind wir allein. Normalerweise küsse ich nur, weil ich es gern möchte."
Sie tritt noch näher, legt eine Hand auf seine Brust. Darunter hüpft Gregors Herz wie ein aufgeregter Vogel.
(S. 205f)