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Constantin Göttfert: Steiners Geschichte.

Leseprobe:

Eins

Ina stellte den Motor nicht ab, auch die Scheinwerfer nicht, sie kurbelte nur das Fenster einen Spalt weit hinab, sodass ich einen Moment lang dachte, sie wolle einem Mann, der drüben am anderen Ufer entlangging, etwas zurufen.
Sie hatte kurz geweint. Jetzt blickte sie mit ruhig an- und abschwellender Brust über ihre kleinen Hände, die immer noch auf dem Lenkrad ruhten, hinweg auf die dunkle March.
«Du willst jetzt dort hingehen?», fragte ich. «Und warum?»
Ich wusste es. Sie suchte eine Geschichte. Eine Geschichte über ihren Großvater.
Sie schob den Türhebel hoch. Mit dem Ellenbogen stieß sie die Tür auf, setzte zuerst einen Stiefel aus dem Wagen, bevor sie mit dem Körper nachrutschte und den sich bereits deutlich unter ihrer Jacke wölbenden Bauch vom Druck des Lenkrades befreite. Mit beiden Händen fasste sie nach dem Wagendach, zog sich aus dem Wagen heraus.
In einem Schlammloch sank sie ein, sie taumelte. Eine Krähe riss sich kreischend vor ihr aus dem schlammigen Unterholz. Ina sah ihr nach, bis sie hinter dem schneebedeckten Dach einer Fischerhütte verschwand. Ich widerstand dem Impuls, Ina nachzueilen. Ich drückte nur selbst die Wagentür auf und beugte mich hinaus, um besser sehen zu können, wohin sie ging. Ich wollte ihr etwas nachrufen, aber ich wusste nicht, was. Man konnte hören, wie die Eisschollen vom Flussufer brachen und leise an die Blechwand der vertauten Fähre klopften.
Der Geruch der faulenden Blätter in den quadratischen Netzen der Fischer stieg jetzt zu mir in die Kabine, die Fäulnis von morschem Holz. «Jetzt komm schon!», rief sie. «Komm schon!» Dabei schlug sie sich mit den behandschuhten Handflächen auf die Oberschenkel. Das sah aus, als wollte sie einen Hund zu sich rufen.
Die Gletscherwasser aus dem tschechischen Riesengebirge hatten den aufgeschütteten Kies überschwemmt, sie schaukelten die vertäute Fähre. Hochwasser, kein Betrieb stand dort, Povode?, žiadná prevádzka. Ich erreichte Ina, fasste nach ihrer Hand, um ihr über die Absperrung zu helfen. «Pass auf», sagte ich. Sie setzte den zweiten Fuß über die Kette, schlug sich den Schnee vom Mantelsaum, und noch halb in dieser Bewegung beugte sie sich zu mir und küsste mich auf die Wange.

(S. 6-7)

© 2014 C.H.Beck, München

 

 

 

 

 

 

 

 


 

 

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