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Leseprobe: Valentin Braitenberg - "Ill oder Der Engel und die Philosophie."

Dann, am Abend, vor dem Schlafengehen, aus heiterem Himmel: Wie ist das ausgegangen mit deiner Freundin?
Wie solche Dinge halt ausgehen. So grundlos, wie sie anfangen.
Ich hab sie nicht mehr oft gesehen. Eines Abends läutet sie unten an der Haustür. Das ist recht, sag ich vom Fenster aus, ich bin hungrig, ich komm gleich, gehen wir was essen. Wunderbar, sagt sie, ich komm mit und trink ein Glas Wein mit dir. Warum nicht essen? Ich hab schon gegessen, sagt sie. Wo gehen wir hin, vielleicht zur Traube, die ist schlicht und ruhig und hat um diese Zeit noch warme Küche - mir schwebte die ganze Zeit, einsam und hungrig wie ich war, ein Gulasch bei der Traube vor. Sie schweigt. Möchtest du nicht zum Franzosen um die Ecke, sagt sie dann, der kocht gut. Ich mag aber nicht französisch essen. Aber es ist so gemütlich beim Franzosen, ich war schon ein paar mal dort mit jemandem. Also gut, sag ich, gehn wir zum Franzosen, es ist nicht weit. Wir gehen in das Lokal, es ist laut und voll, aber ein kleiner Tisch ist noch frei für uns. [...] Meine Begleiterin bestellt Salat. Aber Moment, ruft sie die schon davoneilende Kellnerin zurück, das nächste Mal möchte ich keine Froschschenkel mehr auf der Speisekarte sehen! Die haben wir eh nicht, sagt die Kellnerin, schon lange nicht mehr, keine Sorge. Mir waren die Froschschenkel auf der Speisekarte auch aufgefallen, weil man sie mit einem doppelten sch schreibt. Was hast du gegen Froschschenkel, frag ich. Ich finde es falsch, daß die Leute einfach so fröhlich essen, ohne nachzudenken über das, was sie essen. Also gut, sag ich, laß uns nachdenken über das Schnitzel und den Salat, du über den Salat, ich über das Schnitzel, warum denn nicht. Das war aber offenbar nicht der Punkt. Ich erfahre von meiner Freundin, daß die Beine den lebendigen Fröschen ausgerupft werden. Ja, und was geschieht mit dem Rest des Frosches? Der wird halt weggeworfen. Woher sie das weiß? Ein Bild hat sie gesehen in der Zeitung, eine ganze Bank von Froschschenkelzupfern nebeneinander fleißig bei der Arbeit, irgendwo in der dritten Welt. Ist das nicht entsetzlich? Ja, wirklich entsetzlich, aber ich kann nichts dafür, ich hab noch nie einen Froschschenkel gegessen, ich esse überhaupt nicht besonders gern französisch. Ja ja, du denkst immer nur an dich und bist dabei zufrieden. Kannst du dich nicht in ein anderes Wesen hineindenken? Kannst du dir nicht vorstellen, was du empfinden würdest, wenn du ein Frosch wärst? Der Gedanke ist interessant, nicht so sehr wegen der Froschschenkelgeschichte, sondern überhaupt. Ich versuche mir vorzustellen, wie es ist, riesige Fliegen, fast so groß wie mein Kopf, unzerkaut zu verschlucken. Ich versuche auch, mir einen Sprung vorzustellen, hundert Meter aus dem Stand, über einen Teich hinweg, aber es entsteht kein richtiges Froschschenkelgefühl in meinen Beinen. Ich denke an die frischen, schön gedrechselten Beinpaare in den engen Hosen der Studentinnen am Nebentisch, die sich wahrscheinlich besser als ich in Frösche hineindenken könnten, wenn sie das wollten. Ich frage mich, ob Froschbeine auf Frösche sexy wirken, wahrscheinlich ja. Die Lage der Genitalöffnung zwischen den Ansätzen der Hinterbeine legt das nahe. (S. 44f.)

Ill auf dem Balkon, Marmorplatte mit Eisengeländer hoch über dem Meer. Sie lehnt seitlich am Türrahmen. Ich betrachte das Bild von meinem Lehnstuhl aus: im Hintergrund der blaue Himmel mit den weißen Wolken, in der Ferne die grauen Wellen, die der Wind auf uns zutreibt. Unten am Felsen brechen sie zischend und gurgelnd immer wieder.
Ill steht ruhig und schaut hinaus. Vermutlich spürt sie, daß ich sie ansehe, denn es geht eine Bewegung von unten nach oben über ihren Rücken, als ob sie die verschiedenen Abscnitte ihres Körpers in eine ausgewogenere, daher zierlichere Stellung zueinander bringen wollte. Vielleicht auch nicht. Ihre Schultern hängen, wie es scheint, absichtslos gelassen an ihr. Der Kopf ohne eine Spur von theatralischer Pose. Es ist möglich, daß ihr die Wirkung, die ihre Gestalt auf mich macht, weder bewußt noch wichtig ist. (S. 92)

© 1999, Haffmans, Zürich.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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