Der größte Teil des Tiergartens sah wie ein Kinderzoo aus, mit Rindern, Schweinen, Schafen, Ziegen und einer Menge großem und kleinen Geflügel, ein weiteres Viertel entsprach einem Alpenzoo, mit Gämsen, Hirschen, Rehen und Hasen. Am besten war die Familie der Schweine vertreten, mit europäischen und südamerikanischen Wildschweinen, aber auch mit domestizierten Rassen wie Mangalitza, Duroc, Turopolje und Mukota. Alle Schweine hatten große Gehege mit Böden zum Wühlen und Suhlen, wurden offensichtlich gut gefüttert und machten einen ausgesprochen munteren Eindruck. Sie hatten reichlich Nachwuchs, der quiekend herumwuselte.
„Sieh einer an, sie haben sogar das Dänische Protestschwein“, sagte ich. „Na gut, es hat ja auch nicht auf dem Platz des Himmlischen Friedens protestiert.“
Quentin schluckte den Köder und fragte, warum die Rasse Protestschwein hieß.
„Weil es rot gefärbt ist und mit seiner weißen Bauchbinde und dem angedeuteten Längsstreifen Ähnlichkeit mit der dänischen Flagge hat. In Nordfriesland lebende Dänen haben es um 1900 gezüchtet, als ihnen das Hissen der Flagge verboten war. Es ist übrigens wieder ausgestorben, diese Tiere da sind nur eine dem Protestschwein sehr ähnliche Nachzüchtung.“
„Schade, dass die Tibeter keine Schweine haben, die sie dann in den traditionellen Farben der Gewänder der Gelbkappenmönche züchten könnten“, warf Zoe ein.
„Na ja“, sagte ich, wahrscheinlich würde kein Südchinese ode Taiwanese die Anspielung verstehen, da ginge der Witz wohl ins Leere.“ Obwohl der Verdacht in mir aufkeimte, dass ich mich allmählich in präseniler Geschwätzigkeit erging, konnte ich es nicht lassen, meine Lesefrüchte an die nächste Generation weiterzureichen, auch wenn sie nicht sehr aufnahmefreudig wirkte (...).
(Seite 56 f.)
Ich bin im Allgemeinen recht gleichmütig gestimmt. Es gibt Leute, die meinen „apathisch“ wäre das treffendere Wort. Ich will mich da nicht streiten – dafür bin ich zu gleichmütig –, vielleicht könnte man sich auf „ausgeglichen“ einigen. Ich war natürlich nicht immer so, vor dreißig Jahren verliefen meine Emotionsschübe und Erregungskurven weniger flach.
Der Umhängtaschenraub machte mir aber zu schaffen. Die Szene lief zwanghaft immer wieder vor meinem inneren Auge ab, vor allem die Bilder, wie ich auf dem Bauch im Straßenstaub liegend dem sich entfernenden Motorrad hinterherblickte. Ich bemühte mich, an etwas anderes zu denken, und schaltete den Fernseher ein, der normalerweise eine stark sedierende Wirkung auf mich hat, aber jetzt starre ich auf die Geschehnisse auf dem Bildschirm, ohne sie zu sehen, weil in meinem Kopf immer wieder das Motorrad vorbeifuhr.
Die Untersuchung in der Ambulanz hatte gezeigt, dass ich mir nichts gebrochen oder angeknackst, sondern Blutergüsse und Hautabschürfungen zugezogen hatte. Sie taten weh und würden juristisch als leichte Körperverletzung eingestuft werden.
Nachdem ich mit zwei doppelten Whiskys mein zweites Lieblingssedativum zu mir genommen hatte, verlangsamten sich die Wiederholungen der Endlosschleife allmählich. Ich begriff, dass das Fernsehen heute nichts nützte, also machte ich, was mich am sichersten beruhigte und tröstete: Ich richtete mir etwas zu essen her. Eine Brettljause aus Parmaschinken, Kaminwurzen, Salzgurken, Datteltomaten, Parmesan und Roggenbrot. Kauen hat auch etwas Meditatives, man kann es am Gesichtsausdruck von Rindern erkennen.
(S. 42f)
© 2011 Haymon Verlag, Innsbruck.