Heimito von Doderer liest aus "Der Grenzwald"
ISBN 3-934847-90-0
Spielzeit: 71 Min.
Helmut Qualtinger und der Autor lesen Heimito von Doderer
ISBN 3-902123-07-9
Spielzeit: 67 Min.
Beide: Preiser Records 2001
Man muß nicht "Heimistist" sein, um seine Freude an dieser CD zu haben. Wie Doderer Doderer liest, das donnert so richtig schön, das ist Theater im Leseformat. Stimmgewaltig schmettert er die Worte hinaus, als könnten sie ein Erdbeben auslösen. Im nächsten Moment wechselt Doderer vom Bariton zum Sopran, schraubt die Stimme gewitzt in die Höhe, bis sie spitz und frech wird. Alles mit dem richtigen Timing. Alles mit einer Schalkhaftigkeit, die lauert und jederzeit bereits ist, hevorzuspringen. Da baut einer mit seiner Stimme eine gewaltige Autorität auf, um sie im nächsten Moment wieder lustvoll zu unterlaufen.
Doderer ist wahrscheinlich auch deshalb ein Meister des Vortrags, weil er sein Publikum mitdenkt. Er liest aber nicht nur für ein imaginäres Publikum, nein, Doderer wollte bei der Plattenaufnahme, die Mitte Oktober 1965 im Symphonia-Studio des Wiener Konzerthauses stattfand, dass ihm jemand gegenübersitzt, wenn er seine Texte vorliest. Daß er seine Freude daran hatte, seine Werke für eine Schallplatte einzulesen, ist deutlich zu hören.
Einen großen Auftritt hat Doderer gleich zu Beginn. Er wird 1960 von Dr. Alfred Holzinger, dem damaligen Leiter der Literaturabteilung des Radio Steiermark, und vom Verleger Victor Suchy befragt, was ein Roman sei. Doderer zieht Analogien zur Musik, verlangt vom Roman die Hybris, ein Gesamtkunstwerk sein zu wollen. Will er das nicht, gehöre er unweigerlich in die Amüsierbranche. Doderer donnert diese Worte gnadenlos, ein theatralischer Todesstoß gewissermaßen. Ein Meisterstück an diesem Interview ist, wie sich sowohl Interviewer (Dr. Holzinger beweist seine Philosophiekenntnisse!) als auch sein Gesprächspartner in die Höhe schrauben, wie sie streithaft und durchaus nicht uneitel argumentieren. Doderer hat zuvor nicht zu unrecht auf die Musik verwiesen, was sich hier abspult, ist eine kleine und doch sehr raffinierte Gesprächsarie, die in eine famose Theorie vom Käse und den Löchern, angewandt auf unser Wirklichkeitsverständnis, mündet.
Lange Zeit war die Langspielplatte "Heimito von Doderer liest aus eigenen Werken" vergriffen. Norbert Bogdon, erklärter Fan und "Heimitist", hat sowohl die Lesung der LP komplett auf CD übernommen als auch das ergänzende Interview - und als Bonustrack, wie sich Doderer verliest und der Aufnahmeleiter und permanente Zuhörer Professor Jürgen Schmidt grippehalber schnieft und rotzt, hinzugefügt. Das Herzstück ist ein Ausschnitt (das ungekürzte vierte Kapitel) aus Doderers Roman "Der Grenzwald", den er bis zu seinem Tod im Dezember 1966 nicht mehr fertig stellen konnte.
In den weiteren fünf späten Kurz- und Kürzestgeschichten kommt Doderers Lust am hintergründigen und schwarzen Witz gut zum Ausdruck, sie erzählen von Wutausbrüchen, Motoradfahrten, die in der Kloake enden und anderen Katastrophen. "Umzug in's Villenviertel" lässt einen Traum zerplatzen: Ein Mann sehnt sich 20 Jahre danach, in eine Villa am Stadtrand zu ziehen, kaum verwirklicht er seine Pläne, beginnen die Presslufthämmer vor dem Haus ihr Werk. Fazit: 26 cm geschrumpft, 17 Kilo abgenommen und völlig fertig.
Die zweite CD, die sich dem Werk Heimito von Doderers verschrieben hat, wartet mit zwei Interpreten auf, es lesen Helmut Qualtinger und der Autor. Die Aufnahmen stammen aus den Jahren 1962 und 1965 und wurden 2001 erstveröffentlicht. Warum so spät? Hans Weigel konnte sich mit der kleinen Prosa, aus denen neben den "Dämonen" viel gelesen wird, nicht so recht anfreunden, sie entsprachen seiner Meinung nach nicht dem Autor (die Ironie bei der Sache: Doderer selbst hat für die obige Aufnahme, die aus Anlaß seines 70. Geburtstages aufgenommen wurde, die Kürzestgeschichte vorgeschlagen). Qualtinger beginnt also repräsentativ mit Auszügen aus dem Roman "Die Dämonen" - er liest einen kleinen Fahrplan durch die "Fauna" des Café Kaunitz, um dann in der Kürzestprosa amüsant kuriose bis cholerische Wiener Portraits vorzustellen, die auch von der Tücke des Objekts zu erzählen wissen (eine Teekanne, die ihren Besitzer beißt). Doderer selbst geht den selben Weg: er beginnt mit einem Auszug aus seinem berühmtesten Roman "Die Strudelhofstiege" und liest dann kurze Prosa. Seine Stimme ist etwas knorriger, klingt mürrischer und weniger dramatisch zugespitzt. Mann könnte sagen, die erste CD ist großes Theater, wenn nicht sogar große Oper, zum Mitfiebern, die zweite eine gediegene Lesung zum Zurücklehnen.
Originalbeitrag
Karin Cerny
9. Jänner 2002