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Margit Schreiner: Heißt lieben.

Frankfurt am Main: Schöffling, 2003.
151 S.; geb; Eur[A] 19,50.
ISBN 3-89561-273-1.

Link zur Leseprobe

Diesmal musste es kein "Roman" sein. Der Frankfurter Verlag Schöffling, der 2001 kurzfristig einsgeprungen war, um Schreiners Text "Haus, Frauen, Sex" anlässlich seiner Besprechung im "Literarischen Quartett" nach der Pleite des ursprünglichen Verlages Haffmans neu zu drucken, verlangte offensichtlich von seiner Autorin nicht wie jener "zugkräftige" Titel und verkaufsfördernde Gattungsbezeichnungen.

Die drei Abschnitte "Tod", "Hochzeit", "Und eine Geburt" hängen dennoch inhaltlich zusammen. In "Tod", der längsten und berührendsten der Geschichten, beschreibt eine Ich-Erzählerin, wie sie ihre alte Mutter in ihren letzten Jahren begleitet - ins Krankenhaus, ins Pflegeheim. Die Autorin verarbeitet dabei Erfahrungen und Gefühle anlässlich des Todes der eigenen Mutter im Jahr 1998. Schockierend der erste Satz "Am Ende bringen wir unsere Mütter um, weil wir nicht mehr lügen wollen." Darin klingt ein Motiv des Buches an: dass Lieben nicht nur Pflegen, Behüten und Guttun heißen muss, sondern manchmal auch ein Zerstören bringen kann.

Die weit entfernt wohnende Tochter fühlt sich dazu gedrängt, ihre allein lebende, alte Mutter trotz vielfältiger Verpflichtungen immer öfter zu besuchen: "Unser Vati ist auch tot, sagt die Mutter und weint. - Ich sage, dann kommen wir eben." (S. 10) Das erzeugt auch Wutgefühle, die sie aber der alten, kranken Frau gegenüber unterdrücken muss. In der Darstellung dieser Gefühle setzt Schreiner wie schon früher ironisch auf die Stilmittel, die Thomas Bernhard der Literatur zur Verfügung stellte, Verallgemeinerung und Wiederholung (in "Nackte Väter" macht sie sich den Spaß, mit einem drei Seiten langen Satz im Stile Thomas Bernhards zu beginnen). Ein Wechselspiel von Beschuldigungen, Schuldgefühlen, gezwungenem Nachgeben und unterdrückter Wut läuft ab, im Plural wird die eine Mutter gemeint: "Unsere Mütter können andere Menschen nur wahrnehmen, nachdem sie sich die Menschen einverleibt haben. (...) Wir sind als Kinder auf diese Weise aufgewachsen: als eine Vorstellung unserer Mütter. Natürlich haben wir ständig vor unseren Müttern davonlaufen müssen, um nicht verrückt zu werden." (S. 13)

Fast stirbt die Mutter an einem Herzinfarkt, wird aber von der Tochter gerettet. Die Reanimation macht sie jedoch zum Pflegefall. Mühsam ist es, einen Pflegeplatz zu finden, aber es gelingt, die Mutter scheint zufrieden. Jetzt, als sie aus Schwäche nur mehr lächelt, kaum spricht, tritt das erzählerische Ich erst konsequent auf, der "Plural der Wut" verschwindet, die Tochter tritt aus der Passivität heraus und agiert. Freilich unter Selbstzweifeln und Schuldgefühlen: Sie hätte gegenüber der Mutter nicht erwähnen dürfen, dass sie ihre Wohnung noch zu ihren Lebzeiten auflöst und sie hätte einen beruflichen Termin nicht wahrnehmen sollen, dann hätte die Mutter noch länger gelebt ... Dazwischen ist Platz für viel Zärtlichkeit für die Sterbende, die sich in der Genauigkeit der Details zeigt.

An diesem Text wird viele LeserInnen faszinieren, dass Schreiner das Tabu "pflegebedürftige alte Angehörige" unverlogen angeht. Sie schreibt, was oft nicht einmal gedacht werden darf: dass der oder die Alte als eine Last empfunden werden kann. Dennoch geht es ihr in "Heißt Lieben" um das von der Mutter geprägte Liebesmuster (siehe auch Gespräch Schreiner - Doblhammer, www.literaturhaus.at/buch/autoren_portraits), das Einverleibende, das dem Objekt keinen Platz lässt, es sogar vernichtet: "Unsere Hörspiele bezeichnen sie [die Mütter] als Blabla, unsere Theaterstücke als pervers und wenn sie einmal einen Roman von uns gelesen haben, fragen sie uns, ob wir denn glauben, daß das jemanden interessiert." (S. 52)

Die positive Möglichkeit, der Stempel des Musters, wird nach "Tod" in der Episode "Hochzeit" gezeigt, in der sich die Tochter im Moment des Todes ihrer Mutter einen Geliebten erfindet, der ihre Vorstellung von Liebe für sie verwirklicht. Er soll bei ihr sein, ihre Hand halten, alles für sie aufgeben, sie keinen Moment verlassen, er wird zur Welt ("Er war die Luft, der Wind", S. 96), ein Idyll zieht auf, das fast unmerklich ins Groteske kippt und den Abgrund bewusst werden lässt, der hinter diesem wie jedem Idyll lauert: " Er war (...) die Schreibmaschine, auf der ich schrieb. Ich tippte auf seinem Körper. Aus seinen Knochen geschnitzt die Tastatur, feine Kalkknochen, wie frisch aus Gebirgen geschlagen, zurechtgemeißelt, zusammengefügt mit Knochenleim, überzogen aus seiner Haut." (S. 97)

Eine makabere Zärtlichkeit! Knochen, nämlich einem Gebiss, ist schon in "Nackte Väter" ein Symbolwert zugeschrieben worden. Ähnlich wie in den Texten Ödön von Horváths gehören sie zur Sphäre des Todes (das Bild des Knochenmannes), eine Andeutung der Gefährdung, die solch bedingungslose Hingabe an das Objekt für dieses bedeuten kann.

Die letzte Episode "Und eine Geburt" verrät durch das vorangestellte "Und" im Titel, dass sie aus dem vorangegangenen Text hervorgeht und suggeriert einen Zusammenhang. Sehr genau wird der Vorgang der Geburt geschildert, eine meisterliche Leistung des Erinnerns, sind doch diese Stunden des Schmerzes etwas, was viele Frauen anschließend gern verdrängen. Jungen Mädchen deutet man meist nur an, was sie erwarten könnte. Margit Schreiner beschreibt auch noch die Nachgeburt der Plazenta.

Daran schließen Gedanken über den ersten Geschlechtsverkehr, über das Altern und die Zeit. Vielleicht vervollständigt die Beschreibung der Geburt nur die Sammlung von Schilderungen wichtiger Lebensereignisse - erste Verliebtheit, Entjungferung, Hochzeit, leidenschaftliche Liebe, Altenpflege und Trennung durch den Tod - und schließt den Kreis, vielleicht kann sie symbolisch gelesen werden als Neuschaffung des (gefährlichen) mütterlichen Liebesmusters. Doch wie auch immer man sie auffassen mag, die drei Geschichten sind großartige, berührende Stücke Prosa, die wesentliche weibliche Lebensbereiche sehr genau beschreiben und benennen.

Veronika Doblhammer
19. September 2003

Originalbeitrag

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