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Cornelia Niedermeier und Karl Wagner (Hrsg.): Literatur um 1900

Texte der Jahrhundertwende neu gelesen.
Köln, Weimar, Wien: Böhlau, 2001.
197 S., DM 39.80, öS 291.-.
ISBN 3-412-09201-0.

Die Neulektüre von internationalen Texten der letzten Jahrhundertwende, eine gelungene Kooperation zwischen dem Wiener Germanisten Karl Wagner und der "Album"-Redaktion des "Standard", hat wieder einmal ein Vorurteil wiederlegt, das mittlerweile zum Nutzen des Fremdenverkehrs zu den zahlreichen österreichischen Lebenslügen zählt: dass Wien das kulturelle Zentrum dieser fruchtbaren Periode gewesen sei. Es mutet seltsam an, dass die Publikation der Beiträge in Buchform insofern der Tendenz des Bandes zuwiderläuft, als der Umschlag nicht auf das obligate Klimt-Bild verzichtet. Das, wofür die Klimtsche Judith mit dem Kopf des von ihr getöteten Holofernes steht, spielt in den ausgewählten Texten kaum eine Rolle. Auch sonst zeigen die Neulektüren, dass viele Schlagworte, die wir mit der letzten Jahrhundertwende zwanghaft assoziieren, - "Unbestimmtheit" oder "Ende und Wende" - international eine recht geringe Rolle spielten. Natürlich ist Wien mit einigen "Klassikern" vertreten: mit Hofmannsthals "Erlebnis des Marschalls von Bassompiere", neugelesen von Juliane Vogel, mit Beer - Hofmanns "Tod Georgs", gelesen von Konstanze Fliedl, mit den von Wendelin Schmidt-Dengler gelesenen, unterschätzen "Phantasien eines Realisten" von Popper-Lynkeus und mit Sigmund Freuds epochaler "Traumdeutung".

Freuds Text wurde von Christiane Zintzen bearbeitet und ihr verdanken wir auch den Hinweis, dass eine 1900 erschienene Erzählung, die auf den ersten Blick nur wenig mit Wien zu tun hat, teilweise auf Wiener Verhältnisse Bezug nimmt. Schon Carl Dolmetsch hat Mark Twains seinerzeit vielbesprochenen Wiener Aufenthalt dokumentiert. Twain kam zwar in den Genuss einer Privataudienz beim Kaiser, doch musste er sich nicht nur den Spott des Karl Kraus gefallen, sondern avancierte nach seinem Outing als "Dreyfusard" zum "Judenknecht", ja die christlichsoziale "Reichspost" ernannte ihn gar zum "jüdisch-amerikanischen Humoristen". Die Erlebnisse in Wien, vermutet Zintzen, haben Twain zu seinem Essay "Concerning the Jews" inspiriert, den Freud in seinem "Wort zum Antisemitismus" ausgiebig benützt hat. Twain wurde aber auch Zeuge des Untergangs der ohnedies schwachen parlamentarischen Kultur Wiens durch den Nationalitätenkonflikt und zog nach seiner Rückkehr in die USA Bilanz: Wien sei "das korrupteste Nest auf dem weiten Erdenrund". Und genau das, die Korrumpierung eines Gemeinwesens, ist Thema einer Erzählung, die Analogien zur Wiener Situation aufweist und damit Elemente einer "literarischen Rache" enthält: "The Man that Corrupted Hadleyburg" - von Habsburg nach Hadleyburg ist es ja wirklich nicht weit.

Der Band sammelt neben zu ihrer Zeit einflussreichen Texten wie etwa Chamberlains "Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts" oder Haeckels "Welträtsel" (beide kommentiert von Werner Michler) auch solche, von denen die Herausgeber wohl zu Recht annehmen, dass sie von einem ganzen Jahrhundert geplündert wurden, wie etwa Simmels "Philosophie des Geldes", (Richard Reichensperger) Bergsons "Das Lachen" (Franz Schuh) und wohl auch Veblens "Theorie der feinen Leute" (Ferdinand Lacina), und stellt sie in eine Reihe mit solchen, die heute weitgehend vergessen sind. Die Idee, einen historischen Text in jener knapper Form, wie sie einer Zeitung angemessen ist, aus heutiger Optik neu zu lesen, ist anregend und das Ergebnis trägt auch ein Buch. Dennoch würde man manchmal gerne weiterfragen: ist - wie Monika Seidl schreibt - Joseph Conrads Kapitän Marlow im "Herz der Finsternis" wirklich ein "nervöser Moderner"?

 

Alfred Pfabigan
29. November 2001

Originalbeitrag

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