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Leseprobe: Heinrich Steinfest - "Der Umfang der Hölle."

Der Mensch besteht aus seinen Leidenschaften. Zieht man die Leidenschaften ab, bleibt in der Regel nicht viel übrig. Das ist wie mit diesen voluminösen Perserkatzen, die - einmal unters Wasser gehalten - an magere Ratten oder gerupfte Hühner erinnern. Der Mensch bar seiner Leidenschaften besitzt zwar noch immer eine Gestalt, ist noch immer in der Lage, nach Schweiß, nach zerquetschten Blüten oder auch nach gar nichts zu riechen, kann noch immer Böses oder Gutes tun, schöne oder häßliche Schuhe tragen, auf das falsche oder auf das richtige Pferd setzen, Egon heißen oder Margot, doch alles, was er unternimmt oder bleiben läßt, mutet nun leer und fahl und belanglos an. Die Leidenschaft speist den Menschen mit einer Energie, die seine Handlungen erst mit einer bestimmten, wirklichen Farbe ausstattet. Aus dem Menschen wird die Person.
Freilich kann nicht jeder Mensch behaupten, bloß weil er Schuhe nicht nur trägt, sondern für selbige auch schwärmt, darum schon eine Person zu sein, von einer Persönlichkeit ganz zu schweigen. Leo Reisiger aber konnte das. Er vollzog seine Leidenschaften mit einer Intensität, die nötig war, um in die Welt auch wirklich einzutreten, die Welt mit Leben zu erfüllen, nämlich mit eigenem. Und das, obgleich es sich der Zahl nach bloß um zwei Leidenschaften handelte. Die dann auch noch ein geringes Maß an Originalität besaßen: den Mond und das Lottospiel.
Natürlich: Wer spielt nicht alles Lotto? Wer betrachtet nicht alles den Mond? Freilich stellt sich die Frage, ob man in diesen zahllosen Fällen stets von echter Leidenschaft sprechen kann. Von Spielleidenschaft? Von Mondleidenschaft? Gar von Besessenheit?
Und doch: Gerade das Lottospiel stellt den großen Krieg des einzelnen gegen sein Schickal dar. Die große Versuchung. Die große Herausforderung. Dieselben Leute, die sich damit abfinden, ein trostloses Leben an der Seite eines inferioren Partners zu führen, die sich mit den Abenteuern begnügen, die das Fernsehen bietet, und die den Verfall oder zumindest den fortgesetzten Einbruch ihres Körpers achselzuckend zur Kenntnis nehmen, all diese Menschen, die keine drei Schritte täten, um ein drei Schritte entferntes Glück zu fassen, praktizieren etwas vollkommen Umständliches, Irres, Absurdes und Aussichtsloses, etwas Großartiges und Wagemutiges, indem sie ausgerechnet mittels ein paar angekreuzter Zahlen versuchen, das Steuer ihres Lebens herumzureißen. Das ist, als wollte jemand, anstatt ein Bad zu nehmen, sich in eine Badewanne verwandeln. (S.  9f)

© 2005, Piper Verlag, München.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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