Textproben:
S. 57
Damals ahnt er nichts von dem, was kommen würde, das Kaleidoskop hatte sich noch nicht weitergedreht, mehrmals, er wusste noch nicht, dass er seine Verzweiflung in eine lebensgroße Stoffpuppe pressen lassen würde, in die Späne, die der Nachahmung ihres Körpers Fülle gaben, von weichem Stoff überzogen. Diese Puppen-Alma soll seine unerfüllten Begierden endlich stillen: Sie ist immer um ihn. Er schläft mit ihr, isst mit ihr, versucht, unter ihrem leblos starren Blick zu malen, als ob dieser Glasaugenblick ihn so befeuern könnte wie die echte, die warme, die widerspenstige, alternde Alma. In einem Zornesausbruch nach einer alkoholdurchtränkten und durchfeierten Nacht wird er erst diese nutzlose Ersatz-Alma enthaupten und danach eine Flasche auf ihr zerbrechen.
S. 127
Alma brauchte ein Sanktuarium. Niemand schleppte sie irgendwohin, um sie dort dem Schicksal auszusetzen: Sie war eine erwachsene, mächtige Frau, und sie lebte ihr eigenes Leben. Dieses Gefühl der Selbstständigkeit passte nicht zu Kokoschkas Heiratsfeldzügen, die sie schon mehrmals erfolgreich abgewehrt hatte; mit der Inbesitznahme der Villa Mahler vertiefte sich dieser Konflikt umso mehr.
Das Haus trug den Namen ihres verstorbenen Mannes, das Haus schützte sie vor Zudringlichkeiten, sie empfand es als steinerne Rüstung, als magische Barriere, sie zog sich hinter diesen Schutzwall zurück und wiegte sich in Sicherheit. Kammerer wurde ab und zu als dankbarster Besucher zugelassen. Er brachte Tiere für ihre Tochter mit, die sich, ebenso wie jene in ihrer Wiener Wohnung, immer wieder freikämpften.
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