Eine Auswahl aus dem Werk
Sprecher: Michael Heltau
Spieldauer: ca 73 Min.
ISBN 3-89816-042-4
Naxos Hörbücher 2001
Peter Altenberg ist zweifellos ein Phänomen der Jahrhundertwendeliteratur und der Literaturgeschichte. Seine kurzen Prosatexte stehen in hohem Ansehen. Epitheta wie "brillante Miniaturen", "geniale Impressionen" und "dichte Stimmungsbilder" sind jederzeit rasch zur Hand. Tatsächlich, vor allem etwas genauer gelesen werden sie wohl eher wenig.
Die Sammlung von 34 Texten bzw. Kurztextsammlungen - zwei Blöcke enthalten eine Auswahl aus Altenbergs aphorismenartigen "Splitter"-Sammlungen - die Michael Heltau hier liest, eröffnen einige überraschende Erkenntnisse.
Als wesentlichstes vielleicht, dass Altenbergs Texte heute zum Teil schwer erträglich sind. Da wimmelt es von kleinen Mäderln, die allesamt "Engel ohne Flügel" sind, "allerherrlichste Profile" haben, "süße Antlitze" und "zarte Brüste", es sind "süße Töchterchen" mit "wunderbaren Händchen", denen man "Veilchensträußchen" schenkt, die für ein "Stündchen" im Zimmer des Dichters "ausruhen" und in deren Zimmern alte Onkel so gerne verweilen. Die Anhäufung verniedlichender Diminuitive und die permanente Verwendung des Adjektivs süß für alles Weibliche unter wie über 15 Jahren verbreitet eine Atmosphäre unerträglicher Schwüle, sprachlich wie inhaltlich.
Dabei ist Michael Heltaus Vortrag durchaus gekonnt, mit einer sensiblen Differenziertheit vor allem in den dialogischen Teilen. Und auch die Auswahl der Texte ist gelungen. Sie zeigt eine große Bandbreite und verzichtet fast durchgängig auf jene eindeutig problematischen Texte, die (zumindest) verbalen Kindesmissbrauch ganz offen zelebrieren und mit vielen Verniedlichungsformen verharmlosen. Allerdings sind Texte, denen die künstlich und mühsam verschleierte Schwüle völlig fehlt, bei Altenberg nicht allzu zahlreich.
Dennoch finden sich immer wieder kleine Sprach- und Situationsperlen, wie die feine Studie über die Hilflosigkeit des Vaters im Umgang mit der Tochter, die todunglücklich ist im Internat und vom Besuch des Vaters alles erwartet und nichts bekommt ausser Fragen über den Geschichtsstoff und die Kapitalzinsenrechnung ("Ein schweres Herz"). Oder jene über das kleine Mädchen und die bunten Luftballons ("Im Volksgarten") oder über die Psychologie des Kutschers, der sein Pferd misshandelt ("Die Dame tut das Richtige").
Was im Vortrag Michael Heltaus dabei auch deutlich wird, ist jene Qualität der Altenbergschen Texte, die im subtilen Gebrauch der Bindestriche liegt, die immer Auslassungszeichen sind für das Wesentlichere, nicht Gesagte, Nicht-Sagbare (das gilt auch für die Ebene der problematischen Erotik in Sachen kleine Kinder). Liest man die Texte selbst mit, wird deutlich, dass die verschiedene Anzahl und Bedeutungsschwere der gesetzten Auslassungsstriche akustisch nicht wirklich umsetzbar ist. Eine Pause im Vortrag akzentuiert die Rede, visualisiert aber nicht die ganz wesentlich zum Text gehörenden ein, zwei oder drei Striche in der Mitte oder am Ende einer Szene.
Originalbeitrag
Evelyne Polt-Heinzl
22. Mai 2003
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