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Wolfgang Bleier: Verzettelung.

Salzburg: Otto Müller Verlag, 2007.
Gebunden; 120 Seiten; Eur 16,-.
ISBN 978-3-7013-1133-0.

Link zur Leseprobe

Es ist Karfreitag und dem Kalender nach sollte eigentlich der Frühling beginnen. Dennoch ist der Winter nicht bereit, das Feld zu räumen. Lesewetter. "Der Himmel bekommt die Pest, so ein düsteres Wetter ist am Werk, als wären gerade zehn Christusse am Holz gestorben. Alle Ichs sind Einzelstücke, die stehen im Weg herum. Die Toten werden sorgfältig gestorben, die Verluste verschmerzt. Mein eigener und der Kopf der Sonne glosen;" (S. 80)
Ich scheine das richtige Buch gewählt zu haben. "Ich muß Grau reden, die Zunge raspelt Wörter. Hundert Spatzen sitzen auf meinem Dach. Ich sitze wie festgenagelt, ich muß Maßnahmen ergreifen! Vergeblich wische ich mir den Tod aus dem Gesicht." (S. 89) Das klingt jetzt dramatischer als die ganze "Verzettelung" ist, ist aber dennoch eine typische Stelle für dieses Stück Prosa, das zweite Buch des gebürtigen Vorarlbergers Wolfgang Bleier, der als Autor und Buchhändler in Wien lebt und arbeitet.

Der Erstling "Der Buchmacher" hatte noch eine Art Story im Hintergrund, gleichwohl stand bereits dort die Sprache im Mittelpunkt, nun allerdings programmatische "Verzettelung". Eine ewig wiederkehrende Struktur lässt sich jedoch unschwer ausmachen: Aufstehen – und die damit verbundenen Mühen, Wetter – in allen erdenklichen Düsterkeitsstufen, Morgen-und-ich-Betrachtung – von heiter bis suizidgefährdet, Frühstück – nicht viel mehr als Kaffee schwarz, Umweltkontakt – auf dem Weg in die Arbeit und am Tagesende wird der Protagonist dann "begnadigt". Bleier macht lyrische Prosa, stark verdichtete Absätze, mit funkelnden, schwer gewichtigen Sätzen, die es heraus zu lesen gilt. Ein freudiges Unterfangen. Der Protagonist bekennt: "Ich lebe in einem selbstgemachten November;" (S. 102)

Da wird originell ververbt, da "pipilangstrumpft" beispielsweise ein Mädchen durch die Gasse, "Eine Vogelschar turbulenzt am Spielplatz"; Da geraten Umfeld- bzw. Ummenschenbeschreibungen mitunter misanthropisch, manchmal aber auch hochkomisch (S. 82 u. 115, siehe Textprobe). Da wird den Menschen attestiert "pflanzlich" zu sein, das Ich selbst verwächst zu einem "Gestrüpp" und man ahnt es bereits: "Selten blühe ich mit allem, die Zunge blüht: oh Holunderstrauch." (S. 74) Oh ja, die Zunge blüht: "Worte werden gemessert." (S. 99) Es ist in der "Verzettelung" übrigens derartig viel von Vögeln die Rede, dass die Vermutung, hier habe es einer mit Vögeln – bzw. hier habe einer einen Vogel – nahe liegt. Einen Vogel und ein Wortfaible, einen Wortvogel, der elegant durch die Seiten flattert und sich bisweilen kunstvoll in die Lüfte schraubt/schreibt. "Als Vogel sterben zu müssen; niemand weiß, wie es ist, innen einen Krautacker zu haben." (S. 86)

Innen einen Krautacker und außen: Nebel, Himmel, Wind / Herbst, Nacht, Vögel / Regen, Wolken, Tod. Das sind die Themen dieses Winterdepressionsbuchs und der traurige Held ist kein roter Krautkopf, sondern eine überreife Wortbirne. "Ein Irrer ganz hinüber in Wort und Gestalt bin ich geworden;" (S. 124) Der Ich-Erzähler gibt preis: "Ich wäge das Dekagramm Wort." (S. 76) und er erhöht Seite für Seite lustvoll die Last auf den LeserInnenschultern. Das wird jedoch bei der Lektüre keine Qual, gequält wird nämlich nur der Erzähler, von seinen Vögeln eben. "und tief im Herzen stecken schwarze Krähen." (S. 79), diese haben sich eines abends eingenistet in seinem Kopf und seither "flirrt viel" in seinem Schädel.

"Die Frühe verfault; der Himmel vor dem Fenster ist grau verblecht. Innen habe ich ganze Meere." (S. 81) Wortmeere, Assoziationsmeere, Sätze die raus, die losgelassen werden wollen. Der Protagonist schwappt förmlich über und ergießt seine Sichtweise vorwiegend in Grau- und Schwarztönen, zwischendurch aber auch mal in Form von launigen, leicht zugänglichen Kommentaren: "Tschüß, Flintenschuß unter den Grüßen, wird einem heutzutage hinterhergejagt. Bald werden wir halbautomatisch, bald vollautomatisch gelebt haben." (S. 82)
Das Erzähler-Ich bekennt: "langsam verbusche ich" und, dass es von Zeit zu Zeit mit der Welt abrechnen müsse oder, um es drastischer auszudrücken: "Mein blutendes Herz werde ich in einer zornigen Fahrt aus der Haut über Euch schütten." (S. 88)
Diese Abrechnung in Form einer beträchtlichen Wortschüttung enthält viele gute Sätze, zum Beispiel diesen: "Schlechtes Wetter hat zur Hochkultur nichts beigetragen."(S. 118). Nun ja, vermutlich aber zu einem Gutteil dieses Buches.

 

Markus Köhle
1. April 2008

Originalbeitrag

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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