Palimpsest Babel
Hier, zwischen Kathedrale und Tempel, zwischen dem Aufgebauten und dem Niedergerissenen, überlagert sich alles: die Zeiten, die Sprachen, die Formen, der Lärm und die Stille, die Abbildung, die Vorstellung, die Wirklichkeit. Später taucht die Sprache wieder aus dem Gedröhn hervor, und sie ist seltsamerweise ins Spanische zurückverwandelt. Zurück? In der Flut der poetischen Bilder fällt mehrfach ein Name, eine Buchstabenreihe, die wie ein hartes Riff klingt. Die Buchstabenreihe verschlüsselt und öffnet für die Eingeweihten die Hoffnung, die zum Überleben notwendig ist. Die einstigen Feinde sind Brüder geworden, weil die Existenz aller bedroht ist. (S. 33)
Nach der Kunst
Die Wörter, sofern sie in Scharen auftreten (sie treten immer in Scharen auf), verraten, vertreiben, verjagen die Bilder. Oder verschieben sie (von einer Vorstellung zur nächsten, von mir zu mir), was eine bestimmte Ökonomie (im wesentlichen: Sparsamkeit) voraussetz. Das große Wortgetümmel, -geraschel, -getöse erstickt dann freilich die Vorstellung, an ihre Stelle tritt ein mehr oder minder kunstfertig angehäuftes, geordnetes, ungeordnetes Material, Buchstaben, unendliche Kombinationen. Spielmarken auf Feldern. Les jalons du croupier. Das ist die Kunst des großen Meisters. Das ist die quälende Literatur. Das ist die freudenspendende Wortkunst. Die Wirklichkeit ist verbarrikadiert. Die Bilder (der Vorstellung) sind ausgelöscht. Das Interessante daran ist der Zerstörungs- und Ersetzungsvorgang. Deshalb ist jede Schrift ein Palimpsest. Jede Schrift setzt sich an die Stelle von etwas, das verschwinden muß und das später nur noch die Archäologen wiederfinden können, oder niemand. Wenn die Bilder verblassen, bekommen die Wörter Kraft. Wenn die Wörter verblassen, bekommen die Bilder Kraft. (S. 70)
(c) 1996 Ritter, Klagenfurt, Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.