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Längst fuhren keine Straßenbahnen mehr. Es war so still, wie es mitten in einer Großstadt nur still sein kann. Ich konnte sogar durch das offen stehende Küchenfenster die Ahorne im Hof rauschen hören. Aber ich konnte es ihr nicht sagen. Ich konnte ihr nicht sagen, dass meine Mutter gestorben war. Ich konnte ihr nicht sagen, dass wir vor wenigen Stunden meine Mutter in kalte Erde hinabgelassen und begraben hatten. Ich wollte meinen Mund aufmachen, sie umarmen und erzählen, was ich nicht fassen konnte. Wollte, dass sie mich sanft umarmte und fest hielte, während ich erzählte. Aber mein Mund blieb geschlossen, mein Zittern innerlich, ich konnte mich ihr nicht zeigen. Erst Tage später erzählte ich. Ich stand am Fenster, blickte auf die Straße hinab und redete. Als ich mich umdrehte, sah ich sie fast lautlos weinen. Ihre Augen funkelten, und die Wangen glänzten. Ihre Lippen bebten. Sie stand mitten im Raum. Ich ging auf sie zu und nahm sie an den warmen schmalen Händen. Wie sehr ich diesen Menschen liebte. Mir war, als lägen nicht unsere Hände, sondern unsere Herzen ineinander. Ich spürte Puls und wusste nicht: War es ihrer oder meiner. Sie sagte leise, sie weine nicht ihretwegen. Sie weine nicht, weil sie böse sei. Wie sehr ich diesen Menschen liebte. Sie sagte nichts weiter. Sie schien sich zu beruhigen.
(S. 264f.)
© 2011 Hoffmann und Campe, Hamburg.
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