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23. open mike – Die 20 Finaltexte.


LESEPROBEN:

Theresia Töglhofer: Das pure Leben (156)

Ich wollte ans Meer, ich wollte eigentlich immer ans Meer, das wolltest du diesmal auch. Du mochtest Felsstrände lieber, Strände, die dort blieben, wo sie waren, nicht noch Monate später aus Jackentaschen und Rucksäcken rieselten, mit Steinen, die man unter den Sandalen spürte. Wir nahmen ein Boot, um auf die Inseln zu gelangen. Wir liefen über den Strand, ließen uns von den Wellen nass spritzen und aßen den Fisch und die Vögel, die man dort aß, du sagtest, hier isst man eben Vögel, die man anderswo nicht isst, ich versuchte zu verbergen, dass es mir nicht schmeckte, und lächelte tapfer, als die Köchin Nachschlag brachte. Am Nachmittag folgten wir dem Pfad entlang der Steilküste, stiegen die Klippen hoch. Von dort übersahen wir die ganze Welt, mehr als wir sahen, gab es nicht, und dennoch robbten wir vorsichtig bis an den Rand der Klippen und streckten unsere Nasen über den Abgrund, wo unter uns das Meer tobte und schäumte vor Wut, aber es kriegt uns nicht, sagte ich. Vor Freude zog ich zuerst mich aus und dann dich, und die Vögel, die wir gegessen hatten, rumorten in unserem Bauch. Im hohen Gras verloren wir unsere Verfasstheit, unmöglich zu sagen, wo deine Schulter endet und mein Kopf beginnt, wo meine Hand endet und dein Haar beginnt.

Du schliefst, ich dachte, du schliefst, bis du dich ruckartig aufsetztest, auf die Uhr sahst und sagtest, wir müssten zurück zum Boot. Komm, sagtest du, wir müssen los, sagtest du und warfst mir meine Kleider zu, während du in deine schlüpftest. Wir erreichten das Boot rechtzeitig, ohne zu laufen. Ich schaute auf die Insel zurück, die kleiner und kleiner wurde, du last eine Biografie über Angela Merkel, bis wir das Festland erreichten.


Jessica Lind: Mama (92-93)

Ada sitzt neben dem Kind, das im Gras spielt, relativ unbeeindruckt von ihrer Anwesenheit. Das Kind, ein Mädchen, sie schätzt es auf drei Jahre, aber es kann genauso gut zwei oder vier sein, was versteht Ada denn schon von Kindern, es spricht jedenfalls nicht, hält Ada jetzt einen Wurm entgegen. Er baumelt zwischen den dicken Fingerchen hilflos hin und her.
»Ja, sehr schön«, sagt Ada und verzieht angewidert die Mundwinkel. Das Mädchen nickt und steckt sich beherzt den Wurm in den Mund. Ada reagiert schnell, drückt Daumen und Zeigefinger in die pausen Backen, der Kiefer geht auf und Ada greift hinein, schnappt die angebissene Wurmmasse mit den Fingern der anderen Hand und wirft sie weit weg von ihnen beiden. Igitt, igitt, igitt, igitt. Das Mädchen weint nicht, sondern schaut nur interessiert in Adas vor Ekel verzogenes Gesicht.
Nur einen Augenblick hat Ada überlegt, einfach weiterzugehen, aber dann hat sie sich doch dem Kind genähert, es angesprochen, das Kind nach den Eltern gefragt. Wo ist denn deine Mama? Aber das Mädchen ist stumm geblieben, hat Ada nur mit großen Augen angeschaut. Ada hat gesagt, du bleibst hier, und ist die Lichtung abgelaufen, nach den Eltern des Mädchens rufend. Keine Antwort. Sie hat sich neben das Kind gesetzt, beruhigend auf es eingeredet, ohne ersichtlichen Grund, weil das Mädchen nicht besonders ängstlich wirkte, und hat sich gefragt, ob das Mädchen sie denn überhaupt verstehen kann. Dann haben sie gewartet. Bis jetzt gewartet. Die Sonne ist schon längst untergegangen, sie wirft nur noch ihren Schein über die Erdkrümmung, ihren Lichtschatten, also nimmt Ada das Mädchen bei der Hand, das es bereitwillig geschehen lässt, und geht mit dem Kind durch den düsteren Wald.

Hilde Drexler: Zinnentanz (33)

Hmm, vielleicht doch mehr so Kammerspiel … dramatis personae: der Wunderhofkönig: despotischer Herrscher, launisch und lebensmüde, verzweifelt am Freitod seiner Frau; Jorinde, nein, besser Imogen, Imogen: ein junges Mädchen; der Schelmensohn: ein mittelloser Tunichtgut; Samuel: zwergenwüchsiger Hofnarr, vom Wunderhofkönig zum Idioten geprügelt; Ort: die Perlenstadt auf den Klippen über dem Meere … und in der Stadt, aus Stein, in Stein gehauen: die Finstere Feste, hoch auf den Klippen … auf dem Felsenfirste, »die Finstere Feste auf dem Felsenfirste«, … gut, und drunten, drunten, die ewig schäumende Weiße See:
»In unentwegter Feindschaft rollte die Flut gegen das verhasste Land. Ohne Unterlass stürmte sie gegen den stoischen Stein, der die Stirn hatte, ihr die Stirn zu bieten, jetzt noch, immer noch, nach so vielen Zeiten.«
Hmm, nicht so schlecht …
»Und hinab in das«, … »hinein in das Wellenwüten«, Wellenwüten ist gut, Well-en-wü-ten, hinein in das Wellenwüten sieht der Wunderhofkönig und lädt zum Tanz auf den Zinnen, zum Zinnentanz, ja Zinnentanz … mit dem Schelmensohn springt er von Zinne zu Zinne … hmm, und in der alten Stadt von Dach zu Dach; um Jorinde … Imogen? … um Imogen; hmm … nicht nur um Imogen … auch … auch, weil der Schelmensohn glaubt, genauso todessehnsüchtig wie der große Herrscher, ja, das ist gut!

Toby Dax: Many fine Writers have not been sent to Prison (26)

Selbstverständlich! Das war die einzige Möglichkeit, mich den Verführungen der Welt ein für alle Mal zu entziehen. Es war klar wie Klo?brühe, nur die Rahmenbedingungen waren meinem großen Durchbruch jahrelang im Wege gestanden. Und wenn ich einmal inhaftiert worden wäre, könnte in mir eine immense Ideenquelle heranreifen. Ich würde vom Leben und vom Tod schreiben, Eros und Anatol. Was konnte daran so schwierig sein? Ich sah das Meisterwerk schon formvollendet vor mir. Ein bisschen hiervon und ein bisschen davon. Ein guter Titel, irgendwas Erhabenes, ein guter erster Satz, simpel, aber mehrdeutig, ein geniales erstes Kapitel und weitere noch genialere Kapitel, ein grandioses Ende. Ich stand wirklich kurz vor dem großen Durchbruch, das können Sie mir glauben.
Der Weg zu meinem Stück Weltliteratur würde wohl oder übel ein steiniger sein, ein Weg ohne alkoholische Erfrischungsgetränke, ein Weg nur mit Wasser und Brot, ein Weg des Leidens, an dessen Ende ein Meisterwerk stehen würde. Ich musste meinen Anstand, meine Manieren ablegen, musste eine Straftat begehen und mich dabei erwischen lassen – ungeheuerliche Vorhaben, da werden Sie mir hoffentlich zustimmen, doch mir blieb keine andere Wahl und ich betone, dass ich alles nur für die Kunst und meine Reputation getan habe.


© 2105 Allitera Verlag, München

 

 

 

 


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