Im Lebensmittelgeschäft, in das sie geht, trifft sie immer zwei, drei Frauen von daheim, die in der ehemaligen Barackensiedlung für Flüchtlinge hängen geblieben sind. Keine Freundinnen, sie bleiben beim Sie, jahrzehntelang, wie es bei ihr daheim üblich war. Bei ihr daheim sagen sie nicht zu jedem du, wie hier am Land bei den Bauern. Und der Chef ist ein feiner Mensch, der ihr die Sachen in die Tasche schlichtet, wenn er an der Kassa steht. Er nennt sie immer beim Namen. Das ist alles. Und der Klang der Frauen beim Reden. Obwohl, es ist nichts Persönliches, ein paar Sätze über das Wetter, die Kinder. Der Klang ist es, und das hätte der Mann nicht verstanden, schlimmer noch, er wäre zornig geworden. Wahrscheinlich. Deswegen sicher: Weil sie sich zusammenkratzt, was von Daheim noch zu haben ist. Die Stimmen der Frauen gehören dazu, und dass sie sich nicht duzen. Das hätte sie dem Mann nicht erklären können, sie hätte gar keine Wörter dafür gewusst, die er verstanden hätte. Vielleicht gab es auch keine. Sie weiß nicht mehr, wann sie aufgehört hat, nach den Wörtern zu suchen, die er verstanden hätte. Es wird kühl jetzt. Die Farben weichen schon zurück, die rotgestreiften Vorhänge werden samtig grau. Sie mag diese Zeit, kurz bevor man das Licht aufdrehen muss. Sauber ist die Küche. Alles ist an seinem Platz, seit er nicht mehr da ist. Ein Unfall, es war ein Unfall. Sie tastet nach dem Zettel in der Kitteltasche: Ich habe gestrickt: Socken, Kniestrümpfe in Zopfmuster. Tracht, steht da. Blödsinnig, so etwas. Sie wird den anderen Zettel suchen, das ist der falsche. Der Zettel, auf dem steht: Unfall, Hermann, 21. Mai 1992, 16.32. UNFALL, in Blockschrift hat sie es hingeschrieben.
(S. 14f.)
© 2009 Residenz Verlag, St. Pölten/Salzburg.
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