Leseprobe
Wo anfangen, verdammt. Beim Eisprung, den die Mutter nicht spürte, beim ungeschützten Geschlechtsverkehr der Eltern, die am Sparen waren. Die Geld und Kondome sparten, letztere mussten besorgt werden und das tat man nicht ohne Weiteres, schon gar nicht im eigenen Ort als verheiratetes Ehepaar. (Kind, das waren andere Zeiten.) Ich erinnere mich an eine Unterhaltung mit meiner Mutter. Erzähle Tippi davon, die wohl bemerkt, dass meine Sätze sich kurzstapeln, sie brechen ab und kleben und pausieren. Klingt Trotz daraus, Verbitterung, fühlt sich seltsam an. Als spräche eine Fremde aus mir, oder eine, die es nicht mehr gibt. Denn ich, davongelaufen wie ein Teenager, bin siebenundfünfzig, kein junges Mädel, das sich reiben muss an den Eltern.
Tippi lässt es zu, das hölzerne Gerede. Weil sie mir nicht widerspricht, mich nicht auffordert, mich zu sammeln, die Erinnerung zu ordnen und eins nach dem anderen vorzutragen: Eins nach dem anderen! Weil sie das nicht tut, sondern still sitzt und mich ansieht.
Erzähle ich und bemerke von selbst die Spannung in meinem Gesicht. (Werde weicher.) Merke auch, wie hoch ich die Schultern gezogen habe. (Lasse sie fallen.) Die Winzigkeit des Lächelns bricht den Bann: Wir lachen beide. Ich habe tatsächlich mit dem Eisprung der Mutter begonnen, mit dem elterlichen Zeugungsakt, der zu meiner Geburt führen wird.
"Gut. Du beginnst mit dem Anfang." Tippi setzt sich bequem, zieht einen weiteren Sessel heran, bettet ihre Beine darauf.
(S. 101)
© 2020 Otto Müller Verlag, Salzburg, Wien