Unterfelden, den 1. Jänner 2018
Lieber Jesus,
endlich sitze ich hier. Sitze endlich hier einfach so da. Am Küchentisch. Und schreibe dir diesen Brief. Wie beginnt ein Brief an dich? Wie beginnt ein Brief?
Oha, er kackt schon.
So sicherlich nicht. Aber es ist der Satz, der nach acht Monaten totaler Mutterschaft endlich einmal aufgeschrieben gehört. Damit er da steht. Buchstaben. Schrift. Zeichen auf weiß.
Und was zu diesem Satz noch alles geschrieben werden muss. So vieles! Aber wann?
Sohn weint
Ich schreibe jetzt im Stehen, Papier auf Wickelkommode. Mein Sohn hängt in der Bauchtrage an mir und schläft. Wenn ich mich setze, wacht er auf und weint vermutlich weiter. Ich bin müde. Ich würde auch gerne weinen. Aber es führt ja zu nichts. Ich bleibe stehen. Schreibend jetzt. Wenigstens schreibend.
Dieser Brief scheint mir momentan die einzige Möglichkeit, mich aus dem Loch zu befreien. Denn auch wenn ich verheiratet bin und seit der Geburt meines Sohnes nie länger als höchstens zwei Stunden allein war, so hat der Zustand des Mutterseins und des Nichtschreibens doch ein großes, einsames Loch um mich aufgerissen. Nicht, dass ich mir mein Kind nicht gewünscht hätte. Auch für die Ehe habe ich mich bewusst entschieden. Ich dachte: ein Team bilden. Aber Jakob, mein Mann, kann nicht wissen, was sich alles in mir abspielt, seit ich Mutter bin. Und dass diese Mutterschaft eine Seite hat, zu der ich nur sagen kann: Es ist oft sehr dunkel in mir.
So dunkel, dass ich denke, ich halte es nicht aus.
Sohn wacht auf
Er hat sein Köpfchen gedreht, mit einem Blick kontrolliert, ob noch alles in Ordnung ist um ihn herum, dann hat er seine Augen wieder zugemacht und ist seufzend eingeschlafen.
Das Schreiben dieses Briefes nimmt mir das Gefühl der Einsamkeit. Da ist jemand, an den sich dieser Brief richtet, den dieser Brief, wann und auf welche Weise auch immer, erreicht.
Ich werde alles in diesen Brief schreiben, ohne Scham, so, wie es kommt.
Keine Ordnung.
Kein Plan.
Keine Konstruktion.
Blick auf die Kirchturmuhr. Bitte entschuldige, aber ich muss jetzt noch was einkaufen gehen, bevor der Nah & Gut schließt. Und dann Abendessen machen und meinen Sohn baden und ihn ins Bett bringen usw.
Ich schreibe morgen weiter.
Herzliche Grüße,
eine Gläubige
(S. 13-15)
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