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Stefan Kutzenberger: Jokerman.

Leseprobe 1:

Ganz war mir noch immer nicht klar, ob das nun logisch war oder nicht, und wir blieben eine Weile sprachlos durch die dunkle Nacht Richtung Washington brausend nebeneinander sitzen.
Egal, sagte sie dann.
Was heißt egal?, reagierte ich empfindlich. Ich bin beinahe verreckt in Rif, Stine wurde fast erschlagen, wir wurden beide lebendig begraben, nur durch ein Wunder gerettet. Das ist nicht egal!
Guðjónsson ist ja zurückgekommen, er hätte Stine nie in der Kiste liegen lassen.
Verteidigst auch du nun Guðjónsson, den Frauenschläger?
Nein, natürlich verteidige ich ihn nicht. Aber er ist ganz gebrochen und weiß, dass das nie hätte passieren dürfen.
Woher willst du das wissen?
Weil ich mit ihm geredet habe, am Telefon. Er hat mich angerufen und um Hilfe gebeten. Er hat sich entschuldigt, für die manipulierte Wahl, dafür, dass er Stine geschlagen hat und dass er sie als Spionin verdächtigt hatte. Er weiß ja nicht, dass sie tatsächlich eine ist, sagte Hillary und lachte, als würde es sich nur um ein Spielchen zwischen erwachsenen Freunden handeln. Dass es ihm gelungen ist, Trump zum Präsidenten zu machen, hat ihn selbst überrascht, er wollte eigentlich nur versuchen, wie weit er gehen konnte, wie weit es möglich war, das Volk zu lenken. Ohne Putins Hilfe hätte er es freilich nicht geschafft. Die beiden haben sich Ende der Achtzigerjahre in Dresden kennengelernt und helfen sich immer wieder gegenseitig. Putin hatte mich schon als Außenministerin gehasst, also war es ihm ein Vergnügen, seine besten Leute darauf anzusetzen, den amerikanischen Wahlkampf zu lenken und Trump möglich zu machen. Putin ist Dylans Wahrheit natürlich egal, er setzte auf Trump, da er ihn von Anfang an richtig eingeschätzt hatte, nämlich als destabilisierenden Faktor, der die herrschende Weltordnung durcheinanderbringen und damit ihn, Putin, stärken würde. Wir können also durchaus sagen, dass Putin Trump als Agenten für die Russische Föderation rekrutiert hat. Er war ja schon als KGB-Agent in Dresden für Rekrutierungen zuständig. Und jetzt wird Trump zum zweiten Mal gewählt werden, stöhnte Hillary verzweifelt auf.
Das ist noch nicht entschieden, warf ich ein.
Oh doch, das ist es, entgegnete sie: Die Corona-Krise hat ihn gegen jede Vernunft noch stärker gemacht. Dann erklärte sie: Nach der Wahl 2016 bekam Guðjónsson, wie jeder Geisterbeschwörer, Angst vor dem Monster, das er geschaffen hatte. Er winkte wie ein Magier, der ein Labyrinth entworfen hatte, in dem er dann selbst für alle Zeiten herumirren musste, oder wie ein König, der ein Todesurteil fällte und erst dann erfuhr, dass er es über sich selbst gesprochen hatte. Guðjónsson wusste, dass es Opfer brauchte, um mich zu besiegen, zu spät erkannte er, dass das Opfer Dylan selbst war. Dylans Wort verlor unter Trump rasant an Bedeutung, alle schauen nur noch auf die Tweets des Präsidenten, es gibt keine anderen Texte mehr auf der Welt. Guðjónssons Versuch, die Brasilianer und dich als Eliteeinheit einzusetzen, um Trump wieder loszuwerden, ist ja nicht weit gediehen, das weiß er. Also hat er mich angerufen, sich entschuldigt und mich beschworen, ob ich ihm nicht helfen könnte, das orange Ungeheuer zu beseitigen. Er musste mich opfern, um sich zu retten. Versteh mich, flehte er, wir Texttreuen wären mit dir als Präsidentin zur kleinen Minderheit geworden, wir hätten uns aufgelöst und mit uns die Wahrheit. Wie hätte ich das erlauben können?, sagte er mit einem Stöhnen. Als ob sein Verhalten verzeihbar wäre. Ich wollte einfach auflegen, fragte dann aber doch noch: Und Kutzenberger? – Kutzenberger wird uns helfen, Trump loszuwerden, hat Guðjónsson geantwortet, sagte Hillary.
[…]
Schon, schon, sagte ich, aber es wäre Mord! Du versuchst, dich selbst zu überzeugen. Es ist schrecklich, was Guðjónsson vorhat. Er sucht das Menschliche in den Leuten, in Amy, in Stine, in dir, in mir und macht daraus eine Waffe, um zu töten. Richtig, genau das macht er, schon immer, aber in diesem Fall macht er es, um Trump loszuwerden. In den vier Jahren Trump hat Dylan so massiv an Bedeutung eingebüßt, dass wir es nicht nochmals vier Jahre durchhalten. Deshalb müssen wir mit Guðjónsson zusammenarbeiten. Ich tue das weder für mich noch für ihn, sondern für die gesamte Menschheit. Nur wenn wir an Dylans Wort glauben, werden wir den Weg ins Licht finden. Es ist gänzlich egal, was auf dieser Welt passiert, es zählt allein die Erlösung, die auf uns wartet, wenn wir unbeirrt seinen Aussagen folgen.
Ich musste an das befreiende Gefühl denken, als mich Dylans Text in das Licht transportiert hatte. Noch immer konnte ich es, wenn ich daran dachte, in mir erahnen. Anscheinend musste man dunkle Taten begehen, um dafür mit dem ewigen Licht belohnt zu werden, so ähnlich hatte Dylan selbst es formuliert, hatte ich damals nachgelesen. Oder war das Jesus gewesen? Trotzdem versuchte ich, vernünftig zu sein und dem herrschenden weltlichen Recht zu gehorchen.
Dylan hat nie etwas gegen Trump gesagt, behauptete ich.
Trump ist ein pussygrapschendes, Fake News verbreitendes, zynisch über Leichen gehendes Monster, sein Tod wäre kaum ein Verlust für die Menschheit, zischte Hillary verächtlich. Und ja, Dylan hat eindeutig gesagt, was mit ihm zu geschehen hat. Guðjónsson hat mich darauf hingewiesen, er hat es von dir.
Die Zeile mit dem Mann mit der Flinte, der die Kranken und Lahmen umbringen möchte, und nur der Prediger könnte das verhindern?
Ja, diese Zeile, aber vor allem das nächste Wort: Nightsticks.
Richtig, Gummiknüppel, nicht?
Ja, auf den ersten Blick bedeutet nightstick Schlagstock. Nach deinem Hinweis zur Doppeldeutigkeit von stick könnte es aber auch the night sticks bedeuten. Es würde für immer Nacht bleiben. Was mich schließlich überzeugt hat, war aber, dass nightstick vor allem die interne Bezeichnung für die stärkste Giftmischung ist, die unser Geheimdienst gerade entwickelt hat. Sie haut einen um, wie vom Knüppel getroffen. Aber nicht sofort, und das ist das Geniale daran, sondern erst, wenn es Nacht wird, wenn man sich zu Bett gelegt hat und der Puls fällt. Und auch das steht bereits in Jokerman: Only a matter of time ’til night comes steppin’ in. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es Nacht wird. The night sticks, die Nacht bleibt, auch diese, deine doppelte Lesart von the stick/to stick erklärt hier alles. Und wo wird das Gift verabreicht?, wirst du dich fragen. Das sagt uns Dylan ebenso: Behind every curtain, hinter dem Vorhang. Mir war sogleich klar, dass Guðjónsson recht hatte, das war die Handlungsanweisung Dylans, wie wir den Mann, der es auf die Schwächsten unserer Gesellschaft abgesehen hat, loswerden können.
Auch wenn diese für ihn gestimmt haben, warf ich ein.

(S. 287-289)

Leseprobe 2:

Plötzlich blieb Salman Rushdie stehen, drehte sich um und kam zu mir zurück. Hör zu, Kutzenberger, sagte er, mich plötzlich beim Nachnamen nennend, den er wie Katzenberger aussprach, was nur fair war, da auch ich nie wusste, ob er Rushdie oder Rashdie hieß. Jetzt hätte ich ihn fragen können, doch traute ich mich nicht, und es hätte auch nicht gepasst, denn deshalb war er nicht zurückgekommen, sondern um mir noch eine kleine literaturwissenschaftliche Vorlesung zu halten.
Nicht nur Schriftsteller wissen, dass es keinen Unterschied zwischen Fakt und Fiktion gibt, sagte er. Auch Trump weiß das, und er hat es eindrucksvoll bewiesen, als er seine halb leere Inaugurationsfeier im Januar 2017 als größte Menschenmenge aller Zeiten verkaufte. Als ihm Fotos von den Massen bei Obamas Zeremonie vorgehalten wurden, tat er diese als alternative facts ab und drehte damit den Spieß um. Das, was uns bisher als Wirklichkeit erschienen ist, definiert er als Fiktion, und seine an den Haaren herbeigezogenen Erzählungen verkauft er als Realität. Eigentlich wäre das der Triumph der Schriftstellerei, sollte man meinen, oder? Die Lüge, das Erfundene, wird mit einem Mal zum einzig Wahren, und alles andere wird als Lüge, als Erfundenes abgetan. Doch so ist es nicht. Wir können das nicht auf uns sitzen lassen, denn so funktioniert das nicht. Literatur funktioniert nur in der feinen Balance zwischen Glauben und Staunen, zwischen Realität und Fiktion. Kennst du Coleridges Ausdruck der willing suspension of disbelief, das bewusste Aussetzen der Ungläubigkeit? Literatur lässt uns glauben, dass sie wirklich ist, weshalb wir uns über alle Unwahrscheinlichkeiten hinwegsetzen und selbst als erwachsene Menschen gerne an die Existenz einer Schule für Zauberei oder Mittelwelt oder auch an die eines weißen Wals und spanischen Ritters glauben. Es ist allerdings entscheidend, dass wir während der Lektüre freiwillig darauf verzichten, an der Realität des Erzählten zu zweifeln. Das ist der große Unterschied zur plumpen Lüge. Wie habt ihr als Kinder zueinander gesagt, wenn ihr Vater-Mutter-Kind gespielt habt? Sagen wir, du bist die Mama, und sagen wir, ich bin der Papa, und sagen wir, du bist das Kind. Nicht wahr? So war das doch, so ist es auf der ganzen Welt, behauptete Salman Rushdie.
Ich erinnerte mich an lange Nachmittage im Hof, an denen ich mit Andrea, Marion und Markus am Boden gesessen hatte und wir tatsächlich genau so die Rollen verteilt hatten, nur dass wir nicht sagen wir sagten, sondern samma. Samma, du bist der Papa, samma, ich bin die Mama. Kann es sein, dass ich erst jetzt, hier in Washington, vor Salman Rushdie stehend, erkannte, dass dieses Samma sagen wir bedeutete und kein eigenes Wort aus dem Vater-Mutter-Kind-Spiel war? Rushdie gab mir keine Zeit, diesem Gedanken länger nachzugehen. Wir sagen also, dass es so ist, stellte er fest, wissen aber gleichzeitig, dass es nicht so ist. Und aus dieser Spannung gebiert die Literatur ihre Kraft. Wie auch der Pfeil nur dann geschossen werden kann, wenn ein Teil des Bogens durch den Schützen fest im Boden verankert bleibt. Ohne Bodenhaftung keine Spannung, ohne Spannung keine Literatur. Du weißt das ohnehin, Stefan, nicht wahr? Wir brauchen die Spannung zwischen Realität und Fiktion. Wenn Trump nun aber den Anker in der Realität ganz aufgibt, dann können wir in der Realität ganz aufgibt, dann können wir den Bogen der Erzählung nicht mehr ziehen. Trump ist deshalb nicht der König der Autoren und Geschichtenerzähler, sondern ihr Tod. Deshalb muss er weg, das hat Guðjónsson sehr gut erkannt.
Ich musste fassungslos ausgesehen haben. Ohne viel nachzudenken, konnte man zahlreiche Gründe nennen, warum Trump die Welt zugrunde richten würde, wenn man ihn weitere vier Jahre gewähren ließ. Ihm nun allerdings vorzuwerfen, dass er der Tod der Literatur war, und er deshalb beseitigt werden müsse, das kam mir gar zu fantastisch vor.
Rushdie war verstummt, und ich dachte nach. Dann sagte ich vage: Okay.
Rushdie schwitzte. Er zückte sein weißes Stofftaschentuch und tupfte sich die Stirn ab. Dann nickte er mir zu, sagte, viel Glück, drehte sich um und verließ nahezu laufend die Lobby des Trump-Hotels.

(S. 301 – 303)

© 2020 Berlin Verlag

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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