LESEPROBE:
Kasbah
ob dies Carotin so erdig,
wie die Creme auf ihrem Nacken riecht,
ob der Phosphorit auf dem Balkon
ihre Mittagslaute mögen würd
ob Ambosswolken lernen, wie man sich beherrscht,
ob Labyrinthe erkennen, hangaufwärts,
durchschaut zu werden, gemeinhin geteilt
in Gassen, Häuser, Kuppeln
ob ein höchstlebendiger Himmel versteht,
dass wir ausbrechen, uns halten, hangabwärts
ob die Sonne sieht, dass einiges Neues unter ihr,
ob ihr Blick hinaus aufs Meer sogar schöner als das Meer
ob der Tellatlas begreift, was er ihr, sie mir,
ob irgendein Zeichen, wie's von ihr gedeutet,
ob maurisch, osmanisch, weiß der Geier,
ob sie weiß, was da läuft
ob Ölbäume schwitzen, streift sie mit einer Geste
den Horizont und mir jede Vorsicht ab
ob Wilde Malven zahm tun, selbst Eichen, Zedern zögern,
küsst sie mich – unter Hemden über Schnüren –
auf jedes, jedes Jahr
wieso ich an Ecken und Enden
ihre Hand nicht streicheln soll
und was mir wie hier draußen
Eingeweide oder Stunden quetscht,
inwieweit dies platzende Fruchtfleisch
in meinen Augen nach ihr schmeckt, nach ihr in Algier,
und dass saftiges Schmachtschmalz mit Paprika und Zwiebeln
zum reißenden Strom passt, der sie mir ist,
zum zerklüfteten Land, das ihr durch Nerven und Nieren
ob dieser schwach reflektierte Weg schaut,
wie toxisch sein Licht, wie ihre Brüste
an meiner Stelle Schatten werfen
über Zitadellen, Minaretten, dem Hut des Nachbarn
wie ich sie mehr als fünf Mal beim Namen rufe,
um alles in der Welt ziehe,
hangaufwärts, den Tag nach drinnen trage und frage
ob ich wisse, dass Fragen das eine
und rundherum jetzt das andre,
Becken-, Längs- und Quertäler, später, später erst
zu begehen, zu begrenzen
(Seite 221/222)
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