Leseproben:
"[...] ich will nicht klagen, im Gegenteil, ich weiß, dass ich geschätzt werde, schließlich bin ich das einzige Ding, Erbstück, Überbleibsel eines Mannes, den meine jetzige Besitzerin nie kennenlernen durfte, da ihr Großvater mütterlicherseits mehr als ein Jahrzehnt vor ihrer Geburt verstorben war. [...] Dies ist der Stand der Dinge. Mich bezeichnet sie als Kleinod, was mir gefällt. Mehr möchte ich nicht auftischen. Es ist seltsam. Kostspielig bin ich nicht, aber vielleicht ein gläserner Echoraum."
(aus: "Eine Glaskugel", S. 87-88)
"[...] Kein Sterblicher hat je mein Knie berührt, niemand wird mich je am Ärmel gezupft haben. Ob mich die Toten beobachten, weiß ich nicht, ob sie widernatürlich auf mich anstoßen. Sie kommen und gehen, unsichtbar und tonlos. So wie ich eine Zeichnung auf dem Belag einer Straße oder eines Platzes sein kann, bin ich erfüllt von gelassener Freude. Ich drehe mich nicht um und schaue zurück, meine Ruhe schwebt, ohne sich zu zerstreuen. Man verabredet sich mit mir nicht, man ist mit mir seit jeher unbekannt."
(aus: "Ein Engel", S. 146)
"[...] Ob mit oder ohne Lippenstift, man könnte vieles streichen. Ist das nicht schrecklich klar? Es geht nicht um in Verszeilen abgeteilte Prosa. Das Durcheinander machte mir immer wieder zu schaffen. Es ist ein Balanceakt, es gibt keinen zwingenden Zusammenhang. Bestenfalls entzieht die Kunst dem Leben nicht das Leben, sondern erweitert es. [...] Nein, auf Wald und Wiese ist es mir nie angekommen. Labyrinthische Gärten zogen mich hingegen an, das Knäuel der Wege, deren Sinn darin besteht, begangen zu werden, im Wissen um die Irrgänge. Es gibt keine Wegweiser, zielbewusstes Gehen ist unmöglich."
(aus: Eine Tote", S. 45)
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