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Paul Auer: Fallen.

Leseprobe:

13.

»Entschuldige!«
Eine gleißende Wintersonne. Mama hat die Jalousien raufgezogen. Bett, Kasten, Schreibtisch, Bücherregal, die kleine Couch, meine E-Gitarre werden wieder sichtbar. Bob Dylan, Bob Marley und Buddha blicken auf mich herunter. Fotos von Mama, Papa und mir am Meer, beim Wandern, unterm Christbaum. Ich drücke mein Gesicht in den Polster. Lavendelseligkeit. »Es ist fast Mittag! Raus aus den Federn!« Mama lacht. Setzt sich an den Bettrand. Streichelt mein Haar. Gibt mir einen Kuss auf die Stirn. »Schön, dass du da bist.«
Später beim Essen. Es riecht nach Zimt und Nelken. Dreimal nehme ich einen Nachschlag. Höre mich tolle Geschichten erzählen. Dass ich endlich den Dreh raus habe. Wieder fleißig studiere. Martha ist zu mir zurückgekehrt. Jeden Morgen liebkost sie meine weiche Haut, streichelt meine glänzenden Haare. Kein Wunder, dass ich so viel schaffe. Zum Beispiel eine Reportage. Es geht um die Flüchtlinge von Anfang November, erinnerst du dich, Mama? Tommy, Stefan und ich sind da auf Ungereimtheiten gestoßen. Unter den Leuten war ein mysteriöser Mann, ein Alien aus einer anderen Zeit. Das wird vertuscht, geht rauf bis in höchste Regierungskreise. Wir sind dabei, das Geheimnis zu lüften, Tommy, Stefan und ich. Zum Abschluss werde ich das Ganze in eine mitreißende Reportage gießen. Wir haben den Kontakt zu einem Nachrichtenmagazin hergestellt, mithilfe von Tibor Jablovnik, kennst du bestimmt, früher eine Koryphäe im Journalismus. Anfang des Jahres wird die Sache erscheinen … Ich sag dir, Mama, aus mir wird noch was!
Das klingt großartig, mein Schatz, sagt sie. Ich schlucke. Papa wäre stolz auf mich, sagt sie das auch? Sie betrachtet mich wie ein Weltwunder. »Immer wieder schön zu sehen, mit welcher Freude du isst.«
Ist ja auch eine Leistung. Macht Mama glücklich. Sonst ist da ja niemand, der ihr Essen isst. Sie ist allein, ich bin allein. Einen vierten Teller schaffe ich trotzdem nicht mehr. Ich könnte mich nicht mehr bewegen, raus aus dem Haus aufs Feld laufen, in den Wald, gegen Bäume treten, brüllen, flennen. Dann zurück ins Dorf, auf den Friedhof, die Gräber besuchen, das müsste sein. Zu Allerheiligen habe ich die Toten versetzt. Habe Mama mit ihnen alleine gelassen. »Hab ich dir eigentlich erzählt«, fragt Mama, »was zu Allerheiligen los war?«
Nein, hat sie nicht. Dass ich nicht heimkommen wollte, hatte sie verstanden, ansonsten … Allerheiligen war kein Thema. Ah, ihre Anekdote handelt von Josef Ragger. Der gute alte Ragger! Haust in einer Bruchbude am Ortsrand, riecht unangenehm, spricht mit niemandem. Ernährt sich von selbstgejagten Hasen, verschlingt sie roh. Soll es auch mit dem SS-Mann so gehandhabt haben, den er als Halbwüchsiger erwürgt hatte. Details dazu wollten Tommy und ich als Teenager erfahren. Ehrfürchtig wären wir vor dem Alten auf die Knie gefallen. Ein Widerstandskämpfer in unserem Kaff, ein wirklich konsequenter. Aber Ragger verschmähte unsere Ehrung. Verjagte uns mit einem Stock. Kein anderer Erwachsener hat mich je geschlagen, nur Josef Ragger, der stinkende Kannibale. Der in den Wochen vor Allerheiligen wieder damit begonnen hat, Gasthäuser unsicher zu machen, wie früher. Jahrelang hatte er sich in keinem blicken lassen. Plötzlich taucht er wieder Abend für Abend auf, im Adler, im Löwen, in der Post. Sitzt da, trinkt Bier, raucht. Redet mit sich selbst. So weit, so unspektakulär. Dorfspinner machen so was, oder? Sieht Mama genauso.
»Aber dann, kurz vor Allerheiligen …« Sie stellt zwei Tassen Kaffee auf den Tisch, Kekse. Das riecht ja nach … Ich nippe vom Kaffee, verschlinge ein Keks. »… hat er wieder angefangen, mit seiner Ziehharmonika durchs Dorf …«
»Fuck!«
»Christian!«

(S. 64-66)

© 2020 Septime Verlag, Wien.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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