logo kopfgrafik links adresse mitte kopfgrafik rechts
   
Facebook Literaturhaus Wien Instagram Literaturhaus Wien

FÖRDERGEBER

Bundeskanzleramt

Wien Kultur

PARTNER/INNEN

Netzwerk Literaturhaeuser

mitSprache

arte Kulturpartner

traduki

Incentives

Bindewerk

kopfgrafik mitte

Lisa Eckhart: Omama

Leseproben:

Es mangelt weiß Gott nicht an Autoren, die sich an der eigenen Familie vergehen. Das Leben schreibt nämlich die besten Geschichten, sagen die heillosen Naturalisten, wann immer es ihnen an Einfällen fehlt. Besonders die Kaste der Großeltern ist ein beliebtes Sujet vieler schriftelnder Enkel. Und ganz gleichgültig, welche Epoche – jede Erzählung von Großeltern hebt stets mit einer schweren Zeit an. Eine Zeit der Entbehrung, des Hungers, der Not, welche zum lichten Horizont blickt, den Horizont des Enkelglücks. Und von da an wird geschmachtet, dass die Seiten transpirieren: der Opa hat mir den Weltlauf erklärt, die Oma hat mir was Gutes gekocht. Selbst Thomas Bernhard, der Großmarketenderin des Schimpfens, welche sich naturgemäß jedes nette Wort verbittet, zerfließt beim Suhlen in Großvaters Spuren das Ressentiment zum Sentiment. Dem gemeinen Leser mag das freilich imponieren, da er, für Kunst so taub wie blind, stets Wahres dem Erdachten vorzieht. Das Leben meiner Großmutter, welches ich hier niederschreibe, hat sich fürwahr so zugetragen, wie ich es behaupten werde. Das soll mein Werk jedoch nicht schmälern. Dies ist eine Aufarbeitung – nur nicht die meine. Es bleibt dem Leser überlassen, ob er diese Biografie als Hommage oder als Rufmord erachtet. Ich vermag darüber nicht zu urteilen. Wenn ich von meiner Großmutter erzähle, so zeichne ich in jedem Fall keinen von Krieg und Besatzung geprägten, von Ehen enttäuschten, vom alter gerächten, tätschelnden, verhätschelnden Archetyp des weisen Ahnen. Großmutter hat mir die Welt nicht erklärt. Ich erkläre sie dem Leser. Anhand des Lebens meiner Großmutter.
Großmutter starb kurz nach meiner Geburt. Ich war bereits vier Tage alt, verweigerte aber seit der Entbindung jede selbstständige Körperfunktion. Offenbar sah ich nicht ein, von der ausreichend unwürdigen Existenz eines uteralen Mitessers sogleich mit der nächsten Unzumutbarkeit des menschlichen Daseins konfrontiert zu werden – jener, fortan tagtäglich zu koten, die herrlichsten Speisen zu Stuhl zu entstellen und in Scham zurückgezogen aus meinem Leib zu exorzieren. Ich wollte nicht wahrhaben dass meine neugewonnene Würde als Körpereigentum mit solch einer Abscheulichkeit verbunden sein sollte. Wie kann es dem Menschen gelingen, einst zu reinem Geist zu werden, sich den Göttern gleich zu machen und die Gestirne zu Boden zu ringen, wenn er doch metertief durch Dung stakst?
Langer Rede kurzer Sinn, ich litt an desaströser Verstopfung. Ich hatte großen Appetit, doch ebensolchen Futterneid, der mich sogar dahin trieb, die mir kredenzte Muttermilch selbst verdaut nicht herzugeben. Was in meiner Krippe lag, waren strampelnde Fäkalien, von einer dünnen Schicht Säugling ummantelt. Besorgt, ich könnte implodieren, suchte meine Mutter Rat. Und zwar bei ihrer eigenen Mutter.
Sie eilt zu ihrem Elternhaus und übergibt der Muttermutter ihr kotfarciertes Töchterchen. Meine Großmutter väterlicherseits verspürt exakt in diesem Moment nur wenige Kilometer entfernt einen dumpfen Stich im Herzen. Die Muttermutter schnitzt derweil aus einem Seifenstück ein kleines, kindgerechte Zäpfchen, welches mir ungeniert und formlos in die streikende Öffnung gesteckt wird. Die Vatermutter stützt sich keuchend mit einer Hand am Esstisch ab. Die andere presst sie an die Brust. Sie ruft verzweifelt nach dem Gatten. Nach diesem rief sie heute aber leider schon zweimal zuvor. Erst, als die Eieruhr geklemmt hat, und später, als der Müllsack voll war. Darum rührt er sich jetzt nicht mehr. Irgendwann muss auch mal Schluss sein. Soll das denn ewig so dahingehen? Sie stelle sich vor, er wäre tot! Sie Witwe und allein zu Haus. Sie muss endlich lernen, auf eigenen Beinen zu stehen. Doch die eigenen Beine haben eben versagt.

(S. 5-7)


Es geht die Legende um, ein Dorf nicht weit von Freienstein hätte den Versuch gewagt, Dorfdepp und Dorftrinker in einer einzigen Person zu vereinen. Wie man sich denken kann. war dies ein Versuch mit fatalen Folgen. So fatal, dass ich sie Ihnen, meinem zartbesaiteten Leser, an dieser Stelle nicht zumuten möchte. In Freienstein aber war man seit jeher darauf bedacht auf eine Gewaltentrennung zwischen Trunkenheit und Schwachsinn. Freilich sieht man Depp und Trinker nachts nicht selten händchenhaltend und Schabernack treibend durchs Dorf marodieren. Nichtsdestotrotz unterscheiden sie sich in manchen wesentlichen Punkten. Schon alleine die Hygiene. Man weiß weder wo noch wie der Dorfdepp es zustande bringt, zumal niemandem bekannt, wo und ob er schläft und haust, doch er ist stets rausgeputzt. Der Dorftrinker riecht da schon bedeutsam strenger. Was amüsant ist, denn sie beide besitzen einen starken Drang zum öffentlichen Urinieren. Obzwar unterschiedlich geartet. Während der Dorfdepp mutwillig brunzt, zudelt sich der Dorftrinker an. Unfreiwillig unbewusst und vereinzelt auch bewusstlos. Vor allem wenn er morgens im Rinnstein erwacht, der eigentlich kein Rinnstein ist, sonder nur das Trottoir, welches er zum Rinnstein machte.

(S. 138-139)


© 2020 Paul Zsolnay Verlag, Wien

Link zur Druckansicht
Veranstaltungen
Sehr geehrte Veranstaltungsbesucher
/innen!

Wir wünschen Ihnen einen schönen und erholsamen Sommer und freuen uns, wenn wir Sie im September...

Ausstellung

Tipp
OUT NOW: flugschrift Nr. 35 von Bettina Landl

Die aktuelle flugschrift Nr. 35 konstruiert : beschreibt : reflektiert : entdeckt den Raum [der...

INCENTIVES - AUSTRIAN LITERATURE IN TRANSLATION

Neue Buchtipps zu Ljuba Arnautovic, Eva Schörkhuber und Daniel Wisser auf Deutsch, Englisch,...