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Alfred Kolleritsch: Die Summe der Tage.

Gedichte.
Mit einem Nachwort von Arnold Stadler.
Salzburg: Jung und Jung, 2001.
86 S., geb.; öS 234.-.
ISBN 3-902144-07-6.

Link zur Leseprobe

Die Summe der Tage ist immer auch das eigene Leben, aber wer hier von "Summe" spricht, rechnet die gesamte Lebenserinnerung hoch, resümiert die eigene Geschichte aus einem späten Bewusstsein. Nicht Ordnung oder Raisonnement bestimmen so sehr die Gedanken, sondern die frei schwebende Erinnerung, in der die Erfahrung gerinnt: ein nachsinnendes Hineinversetzen, das aus dem unausweichlichen und stetigen Verlust der Lebenszeit Distanz und Weite gewinnt. Das Erinnerte lässt sich nicht wiedergewinnen, und könnten wir es, würden wir - so hat es Walter Benjamin vermerkt - die Erinnerung verlieren. Erinnerung ist Gegenwart. Hinter den aufsteigenden Bildern, Erfahrungen und Begebenheiten tickt, manchmal kaum vernehmbar, manchmal unüberhörbar, der Countdown. Keine literarische Form eignet sich so gut, diese Verschneidung der Zeitebenen wiederzugeben wie das Gedicht.

Am 16. Februar hat Alfred Kolleritsch seinen 70. Geburtstag gefeiert. Die 67 Gedichte weben die späte Zwischensumme und, vor diesem Hintergrund, die Erfahrung einer späten, jungen Liebe und des Verlusts. Wenn Kolleritsch in dem Gedicht Für Christiane sagt: "DIR als Unmaß / mehr zu geben, / den Wortschatz, / der uns erzeugt", dann ist damit auch der Grund genannt, weshalb uns diese Bekenntnisse interessieren können, dürfen, sollen (wie auch immer): Der Mehrwert der Sprache. Arnold Stadler hat in seinem Nachwort darauf hingewiesen, dass Kolleritsch in einer von Faktizität zugerichteten Welt das Fragen und Staunen hochhält. Man muss dazu sagen: weniger "im Gedicht" als "als Gedicht". Wie Stadler es ausdrückt: "Kolleritsch hat ein Leben lang gestaunt und gefragt und ist in die Nähe gegangen: seine Gedichte sind (weniger Antworten als) Fragen". Unter den zitierten Belegen: "es zu sagen, auch als ASCHE, / dem Wunder des Übriggebliebenen" oder "Daß nach dem Abschied / der Himmel unangestrengt leuchtet".

"den Dingen zu, dem DIR", wie es im Gedicht Für Christiane heißt, "sie aus dem Mehr, als sie / selber sind, / als Dinge sagen": Genau das ist der Mehrwert. Kolleritsch, der 1960 (gemeinsam mit Alois Hergouth) die international wohl beachtetste österreichische Literaturzeitschrift, die "manuskripte", gründete, aber allein schon seiner Bedeutung als Erzähler und Lyriker nach zu den Größen der österreichischen Gegenwartsliteratur zählt, schließt auch mit diesen Gedichten an eine Tradition an, die Lyrik zum Ort der philosophischen Selbstbestimmung und Selbstreflexion machen: unpathetisch und doch mit großem Ernst (um nicht "Schmerz" zu sagen). Vielleicht spielt trotzdem die frühe und intensive Beschäftigung mit Martin Heidegger eine nicht unwesentliche Rolle, obwohl wir ja heute beim Lesen Heideggers von dessen ontologischer Schwere und vor allem von den zeitgeschichtlichen Implikationen auch unangenehm berührt reagieren. Nicht so bei Kolleritsch, dem es wie Johnson oder Bachmann etwa nicht um das Gewicht der Worte geht, sondern um die Gewichtigkeit dessen, was mit Worten persönlich existentiell ausgedrückt wird. Der schmerzliche Ernst folgt weniger der Logik als der eigenen Erfahrung, deren Intensität in "Die Summe der Tage" allerdings gemildert wird durch einen Ton, der wie später Glanz des Tages über den Gedichten liegt.

Den Klang zu erfassen, fällt einem beim Lesen nicht schwer; dem Sinn zu folgen, ist einem nur möglich mit diesem Klang im Ohr. Die Schwierigkeit der Metaphern - so einfach die angerufenen Worte und Dinge auch sind -, die eigenwillige Syntax, die sparsam gebrauchten Mittel der Interpunktion, das alles verlangt uneingeschränkte und konzentrierte Bereitschaft, sich auf die Gedichte einzulassen, ihnen zuzuhören. Aber es fällt nicht schwer, ihnen zuzuhören oder mit ihnen zu "sehen". Ihre Suggestivkraft lässt uns ihnen vertrauen und "Richtigkeit" auch dort anerkennen, wo wir nur noch als schweigender Chor einem orphischen Abschied beiwohnen.

Martin Adel
29. Mai 2001

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