Man schrieb 1948. Sie waren nun schon seit neun Jahren in New York beheimatet, wenn dies der richtige Ausdruck dafür ist: in zahllosen Wohnungen, kleinen Einzelzimmern, Untermieter bis zu dem, was Frau Weiss als halbwegs anständige Unterkunft bezeichnete. Es war Weltkrieg gewesen. Aber der Weltkrieg schien sie nicht direkt berührt zu haben. Sie erfuhren nicht seine ganze Wirklichkeit, nachdem das Entsetzen in Wien über sie hereingebrochen war und sie sich dann als Flüchtlinge in der Neuen Welt fanden. Sie wußten ganz gut, wovor sie geflohen waren, aber nicht genau, wohin. Die Fackel der Freiheitsstatue schien nicht hell genug über ihnen zu leuchten. Es war Weltkrieg an ihnen vorbei gewesen, ohne Wirklichkeit. Nur die Gerüchte des Schreckens, die ihre Familien drüben betrafen, drangen allmählich, wie ein verdrängtes Grauen, zu ihnen. Carl hatte sich als militäruntauglich erwiesen, und wohl auch als untauglich, an einem Fließband für Flugzeuge und Tanks zu arbeiten, wo er, wie Frau Weiss das etwas naserümpfend nannte, hätte Geld verdienen können. So waren es nur die geringen Verrichtungen als Adressenkopist, Typist oder sogar nur Botengänger, mit denen er sich seinen Unterhalt verdiente. Er hatte sich anfangs sogar an Universitätskursen versucht, obwohl er bereits ein Doktorat in Philosophie der Universität Wien besaß. Das hieß man Adult Education und seine galt der Buchhaltung und dem Geschäftswesen. Er schaffte den Kurs nicht. Dies war eine erste große Niederlage unter der leuchtenden Fackel der Freiheitsstatue. (S. 9f.)
© 2000, Paul Zsolnay Verlag, Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.