Trauma, Trick und Telefon
Das österreichische Inland,
als Panorama betrachtet
Ich verbiete, daß er schreibe!
Ich befehle, daß er's soll!
Franz Grillparzer,
"Der Traum, ein Leben"
Über Österreich zu schreiben ist unerträglich. Zuviel ist geschrieben worden. Zwei Hilfszeitwörter in den ersten beiden Sätzen. Wer hilft dem Autor? Er ist ermattet, schon beschleicht ihn ein drittes. Zu viele Hilfszeitwörter in seiner Brust. Österreich macht schwach. Er widersteht ihm schwer. Er widersteht ihm nicht. Überall ist eine ungeheure Hilfsbereitschaft. Das kann nur bedeuten, der Feind ist nicht weit. Er blickt um sich, da kommen sie schon, die österreichischen Figuren. Nein, es ist das ganz normale Leben. Die Normalität redet er sich mit aller Kraft ein, denn darin besteht sie ja, daß man sie sich ienredet, ehe man sich darin einrichtet. Das Einreden ist geradezu die Voraussetzung des Einrichtens. Österreich, ein Einredehaus. Überall im Land stehen Medienhäuser. Jedes Eigenheim ein Medienhaus. Der Kanzler hat die Parole ausgegeben: Internet für alle! Im übrigen fehlt es keineswegs an Einrichtungshäusern. Sie übertreffen die Zahl der Eigenheime bei weitem. Damit die Eigentümer des größten Einrichtungshauses aus seinem Penthouse einen ungehinderten Blick auf Österreich habe, wurde das Museumsquartier, in dem sich die zeitgenössische Kunst einrichten soll, höhenmäßig ein wenig zurechtgestutzt, als wäre es ein zu hoch geratener Tisch, dem die Beine abgeschnitten werden. (S. 5f.)
Neid und Mißgunst, Häme und Untergriffe gibt es nicht nur in Österreich. Mir scheint allerdings, daß die Intelligenz des Landes so beschäftigt damit ist, ihr Trauma zu verarbeiten, daß sie ihrer Aufgabe nur eingeschränkt nachkommen kann. Bei der Abwehr von Traumata verarmen "alle anderen psychischen Systeme, sodaß eine ausgedehnte Lähmung oder Herabsetzung der sonstigen psychischen Leistung erfolgt", sagt Sigmund Freud. Die Traumata der österreichischen Intelligenz sind Nation und Staat. Spricht der Soziologe Heinz Bude von der "ironischen Nation" Deutschland, so könnte man Österreich eine "traumatische Nation" nennen. Verletzung, Abwehr und Gegenverletzung: Ein Konflikt mißlingt. Die Aufgabe der Intellektuellen bestünde in Aufklärung und öffentlicher Aufarbeitung dieses Problems, oder zumindest in der Darlegung, warum sie diese Problem für keines mehr ansehen, Aufklärung für unmöglich erachten und ihre angestammte Rolle nur mehr für eine Pose halten. Man muß das Positive sehen: Die Intellektuellen stellen sich dieser Aufgabe. Wenn auch nicht immer mit Erfolg. (S. 267)
© 1999, Paul Zsolnay Verlag Gesellschaft m. b. H., Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.