Von Odense bis Kastelruth
Über Dichterlesungen und Lesereisen
Einladungen zu Lesungen freuen die Dichter, wenn auch die berühmteren Kollegen solche Einladungen kaum annehmen, ja meistens nicht einmal beantworten. "Habe weder Zeit noch Lust", hat uns Ernst Jünger seinerzeit ins Studentenheim geschrieben. Der Großteil der Schriftsteller rührt nicht einmal das Ohr, kaum die Schreibmaschine und sich sicher nicht vom Fleck, um ein Zeugma zu gebrauchen. Was soll's! Einladungen sind jedoch nicht gleich Einladungen, Einladungen ins Ausland, schon gar ins fremdsprachige, sind zum Beispiel etwas Besonderes. Die Erwartung aber, daß man dort mit seinen artifiziellen Subtilitäten verstanden wird, woher einen die mit etlichen rührenden Grammatikfehlern und überhaupt im Stil der Goethezeit geschriebene Invitation erreicht, ist eher gering. Will man sich aber nicht dem Vorwurf des Nationalismus aussetzen, wird man wohl reisen müssen. Bei allem, was gerade wir anderen Völkern angetan haben, ist das bißchen Unverstandensein, oder nur Nichtverstandenwerden, auch kein heroischer Akt der Wiedergutmachung oder gar Sühne, obwohl das Leiden des Autors beträchtlich sein kann! Wozu war der ganze stilistische und idiomatische Aufwand jetzt gut! Da hatte man sich gleich auf Infinitive und Nennformen beschränken können. Doch kann einem Unverständnis auch bei Landsleuten passieren. Nachdem ich bei einer Veranstaltung zum Thema "Dorf" im Innsbrucker Funkhaus einen Text aus meinem Buch "Vom Schnee der vergangenen Jahre" gelesen hatte, fragte mich anschließend ein Einheimischer am Kaffeeautomaten der Kantine, nachdem er mich zu seiner Verblüffung als den wiedererkannte, der vorhin auf der Bühne ins Mikrophon gesprochen hatte: "War das Gesätzchen eppa von Ihnen selber, was Sie da vorgerezitiert haben?" Und nachdem ich dies bejahen durfte, meinte er voll Bewunderung: "Was Sie nit sagen, alles eigene Fechsung! Dos wor nit schlecht, wohl, das war fein guat, mein Herr!"
Tirol ist immerhin Österreich. Doch denke ich im Zusammenhang mit Einladungen ins Ausland etwa an meinen Auftritt in Odense in Dänemark zurück. Die Erinnerung daran wird dadurch ein wenig getrübt, daß zu meinem Vortrag nur acht Zuhörer erschienen sind, von denen vier der dortigen "österreichischen Kolonie" angehörten, die übrigen waren: der einladende Professor, seine beiden Assistenten und die Institutssekretärin. Dafür also war ich fast 2000 Kilometer mit der Bahn angereist, rechne ich nach, so kam auf 500 Kilometer ein Hörer, wenn ich auf die Dänen, also die Fremden, abstelle. Ein kleines Auditorium läßt sich leicht überblicken, man kann es zählen und ist nicht auf Schätzungen angewiesen. Bei einem größeren Auditorium ist das anders, und man kann dem Veranstalter kaum widersprechen, wenn er anschließend ein wenig übertreibt und sich in die eigene Tasche lügt, indem er ordentlich aufrundet und kräftig dazuschlägt. Ein kleines Publikum ist auch immer ein interessiertes und ein dankbares Publikum. Das sagen auch die Begrüßer.
(S. 135f.)
© 1999, Residenz, Salzburg, Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.