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Leseprobe: Gabriel Barylli - "Wer liebt, dem wachsen Flügel."

Und ist es nicht so, daß jede Blume einen Boden hat, aus dem sie erwächst? Es ist so. Und ist es nicht so, daß die Liebe als eine geistig-seelische Pflanze abhängig ist von dem Nährboden des kulturellen Umfeldes, auf dem sie steht? Auch das wird Ihre Zustimmung finden, hoffe ich.
Nun ist es doch also so, daß für die Formen der Liebe, die wir heutzutage als die unsrigen bezeichnen, unsere Welt, in der wir leben, die Formgebung vollzieht. Etwas einfacher gesagt, in einer Welt voller Vielfalt erlebt auch die Liebe eine Formenvielfalt. So weit, so gut. Was mich nur wundert, ist, daß Sie mir noch nicht ins Wort gefallen sind. Darf ich uns beide zu großer Wachsamkeit aufrufen!
Wir haben soeben stillschweigend akzeptiert, daß es eine Frage der Welt ist, in der eine Liebe blüht, um zu erkennen, welche Formen die Liebe in dieser Welt annehmen kann ... Ja, was heist denn das? Heißt das nicht, daß wir stillschweigend akzeptieren, daß die Liebe abhängig ist? Abhängig von der Region, in der sie blüht ... Abhängig von der Musik, die sie prägt ... Abhängig von den Gottesbildern, den Menschenbildern, den Männerbildern, den Frauenbildern, die in der Welt, in der sie blüht, beherrschend sind? Abhängig von der Landestracht - und glauben Sie mir, es macht einen gewaltigen Unterschied, ob man bei sommerlichen Temperaturen alle Straßen von blitzkurzen Miniröcken leuchten sieht oder auf dem Bazar in Assuan Frauen nur daran erkennt, daß diese langen, schwarzen, dicken Striche in der Menge einen Korb auf dem Kopf balancieren.
Sehen Sie, worauf ich mit unserem Weckruf hinauswill? Wir gehen immer noch stillschweigend davon aus, daß die Liebe zwischen einer Frau und einem Mann nichts Absolutes ist ... Nichts Absolutes. Ich weiß nicht, wie oft ich diesen Satz wiederholen soll, um auch mir selbst seine Tragweite bewußt zu machen. Die Liebe ist nichts Absolutes. Nichts Absolutes. Sie ist nichts Absolutes, zumindest in der Art, wie wir mit ihr umgehen.
Ich glaube, unser Hauptproblem liegt in der Tatsache, daß wir in unserem Leben zwei Dinge vermischen. Wir wissen alle aus den heiligsten Tiefen unserer wortlosen Seele, daß die Liebe etwas Absolutes ist. Die Sonne ist absolut. Der Wind ist absolut. Wasser ist absolut. Feuer und Erde sind absolut. (S. 86f.)

"Was tust du?" rief sie und schlug lachend die Hände vors Gesicht.
"Wolltest du nicht irgendwann einmal mit mir nach Italien fahren?" rief ich und ging um den Wagen herum zu ihrer Türe.
"Ja ... Ja ...", rief sie und sah lachend zu, wie ich eine Kassette mit neapolitanischer Mandolinenmusik in das Autoradio drückte. Zu den einsetzenden Klängen reichte ich ihr meinen Arm und bat sie um einen Tanz zur untergehenden Sonne. Sie lehnte sich in meinen Arm zurück und lächelte mich wieder mit diesem Lächeln an, das aus einer anderen Zeit geflogen kam.
Ich fragte sie, ob sie meine Frau werden wollte, und sie lächelte ganz langsam und sah mich an und sagte: "Ja." Ich bildete mir ein, daß sie dieses Wort im letzten Moment der untergehenden Sonne gesagt hatte, denn als wir aufhörten, uns zu küssen, war es schon stockdunkel. Einige Nachtfalter flatterten erstaunt um die roten und gelben Glühbirnen, und das hellblaue, verlassene Bauernhaus seufzte leise in der Dunkelheit am Waldesrand vor sich hin.
Als die Musikkassette zu Ende war, packten wir unser "little Italy" zusammen und fuhren in das nahegelegene Luxusrestaurant am See, um eine große Portion sehr, sehr kleiner Weinbergschnecken, auf einem sehr, sehr heißen Teller serviert, zu essen. Wir tranken dazu einen leichten, hellen Weißwein, der einen Nachklang nach Walnüssen hatte, und am Ende des Tages löschten wir das Licht in einem der Zimmer, die im ersten Stock des Landgasthauses lagen und schliefen erst ein, als draußen die erste Morgenröte über den See zog. Eine weiße Möwe kreiste tief über dem Wasser, als ich aufstand, um die Jalousien zu schließen, damit wenigstens ein paar Stunden Schlaf noch möglich waren.
Am frühen Nachmittag standen wir als verlobtes Paar auf, und ich fuhr mit ihr in die Stadt und zeigte ihr, wie man eine Cremeschnitte im Cafe Tomaselli so ansticht, daß die weichfeste, puddingähnliche Cremefüllung nicht völlig zur Seite quatscht. Sie lachte ununterbrochen und bestellte eine zweite Cremeschnitte, weil ich die erste bei meinen Erklärungen fast zur Gänze aufessen mußte. (S. 138f.)

(c) 1999, Nymphenburger, München.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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