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Leseprobe: Clemens Berger - "Und hieb ihm das rechte Ohr ab."

Jeden Karfreitag war ein alter kleiner Mann ans Pult neben dem Altar getreten und hatte aus der Heiligen Schrift gelesen. Er hatte seinen besten Anzug getragen, den einzigen wahrscheinlich, in einem dezenten Braun, leicht zerknittert, ein gelbes Stecktuch in der Brusttasche, und doch hatte man gespürt, dass ihm dieser Anzug nicht passte, dass er nicht in diesen Anzug passte, dass dieser Anzug für andere gemacht worden war. Herr Horvath war ein einfacher Mensch gewesen, keiner, den man mit großen Reden und teuren Kränzen zu Grabe trug – wie sie alle, die im Steinbruch spielten. Gerade so wie Alfred. Anders als der Herrdoktor. Und diese Lesung am Karfreitag, vorm Pult in der randvollen Kirche, war sein großer Auftritt gewesen. Der Auftritt seines Lebens. Da vorne war er, solange er las, wichtig gewesen. Da vorne war er das Sprachrohr einer zweitausend Jahre alten Geschichte gewesen. Da vorne war er mehr als ein einfacher Mann gewesen, der allein lebte und sich von seinen Vorgesetzten noch kleiner machen lassen musste. Und wann immer der kleine Herr Horvath zur Gefangennahme Jesu kam, wechselte man schon erwartungsvolle Blicke, wartete das Publikum nur noch auf den einen Halbsatz: Und hieb ihm das rechte Ohr ab. Weil der das r so betonte. Weil man das stumme h hörte. Darüber wollte Alfred nicht lachen, auch wenn es witzig gewesen war. Der alte Herr Horvath hatte etwas verstanden. Wenn er aus der Bibel vorlas, wollte er lesen, was da stand. Er hatte die Worte ernst genommen. Er hatte sich auf seine Aufgabe vorbereitet. Er hatte sich mit dem, was er den anderen darbieten sollte, auseinandergesetzt.
(S. 73f)

© 2009 Wallstein Verlag, Göttingen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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