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Wo sind die strohgedeckten rundhütten, wo die feuer, um die zum ekstatischen trommelklang die edlen wilden tanzen, wo ist die nur von wilden tieren bedrohte dschungelidylle? wir warten auf den bus, sitzen auf der niedrigen bank neben dem muschelhaufen. dieses dorf erinnert mich an das dorf meiner kindheit. hier wie dort die matte straßenbeleuchtung, grünliche, von insekten umwölkte lämpchen, ineinander übergehende lichtkegel werfend; hier wie dort die leute vor den häusern sitzend, feierabend; hier das blöken der schafe, das meckern der ziegen, dort das muhen der kühe und das schnattern der gänse; hier wie dort gelsenstiche, kaum autos, dafür perdegespanne; hier gibt’s eine busverbindung auch noch spät am abend. dort auch heute noch nur zwei busse pro tag. fahrt nicht hin, wenn ihr nicht aus der ebene gewachsen seid, wie die kletten und disteln und der bitter schmeckende wermut, der – meterhoch – unser urwald war, der uns das schnittlauchbrot bitter schmecken ließ und uns in seinen geruch einhüllte, bis die wermutkroaten ihn schnitten, jedes jahr. ich weiß nicht, warum sie so hießen, weiß nicht, ob es wirklich kroaten waren oder ob es ein schimpfwort war. aber ich wußte immer, was ich nicht fragen sollte. fahrt nicht hin, wenn ein dorf für euch vorallem aus häusern besteht, wenn ihr nichts wißt von der rangordnung der dorfleute, von den todesfällen der letzten jahre, den verwandtschaftsverhältnissen und dem sterben des dorfes.
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wir schlafen in einem dorf, sind die ersten toubab, die hier schlafen. amadou, unser gastgeber ist entsprechend stolz. gewöhnlich fahren europäerInnen hier nur durch, in ihren großen autos. und ein europäisches kind war noch nie in diesem dorf. ich bin auch ein afrikaner, sagt samir trotzig. das erinnert mich an einen spaziergang durch den hyde-park. am speakers corner stand ein schwarzer auf einer kiste und hielt eine flammende rede über afrika und black is beautiful und was die weißen den schwarzen alles angetan haben. außer mir hörten nur afrikanerInnen zu. plötzlich drängte sich ein ägypter bis zum redner vor und reklamierte für sich, auch afrikaner zu sein. gelächter ging durch die menge. but you are not black, sagte der redner, you are pink, wieder großes gelächter. der ägypter gab nicht auf. you are no african, you are only egyptian, schrie der redner ihn an.
eine nachbarin kommt mit erdnüssen, ich kaufe zwei packerl. weiß sein bedeutet reich sein, das hat sich bis in dieses dorf herumgesprochen. amadou stellt mich seinen vätern und müttern vor. er hat zwei väter und drei mütter, die alle in angrenzenden häusern wohnen. die häuser bilden enge gassen, die sich zu hofähnlichen plätzen weiten. die haustüren stehen zum hof hin gewöhnlich offen. amadous mütter und väter liegen vor den türen auf ihren matten. ich muß sie begrüßen, sage salamalaikum, schüttle hände. amadou sagt, ich sei amerikanerin. amerika bedeutet wohl mehr reichtum als europa, also auch mehr glanz für amadous haus. ich frage amadou, wie es möglich ist, mehrere väter und mütter zu haben.
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