"Sie haben mir einmal erzählt", sagte Lapinski zu Fuchs, "Sie würden keinen von denen, die Sie gequält haben, erkennen, wenn sie in Zivil neben Ihnen im Wirtshaus säßen. Sehen Sie, das glaube ich Ihnen nicht, Fuchs. Ich werde diese beiden Gestapo-Typen in meinem ganzen Leben nicht vergessen, ich würde sie aus einer Menge von tausend Leuten herausfinden." "Wie?" "Die Augen, die Lippen - was weiß ich, einfach alles", sagte Lapinski und machte eine fahrige Bewegung. "Und was noch schlimmer ist, fast so etwas wie ein Fluch, ich kann auch all die potentiellen Gestapo-Typen erkennen, ich kann sie riechen..." "Jetzt machen Sie aber einen Punkt, Lapinski", sagte Fuchs. "Riechen, das ist doch lächerlich! Und was meinen Sie mit potentiellen Gestapo-Typen?" "Jene, die heute wieder dasselbe machen würden, wenn sie könnten. Ich erkenne sie, wenn sie auf der Straße vorbeigehen, wenn sie neben mir im Bus sitzen. Heute habe ich im Bus eine Frau gesehen, strenger Haarknoten, kalter Blick, Lippen wie ein Bindestrich. Bei der hab ich mir gedacht, die gäbe eine glaubwürdige KZ-Aufseherin ab." "Sie spinnen, Lapinski", sagte Fuchs. "Und Sie können sich da ganz gewaltig täuschen. Glauben Sie mir, ich bin Polizist. Man sieht es keinem an!" Und nach einer kurzen Pause setzte er fort: "Aber es steckt in jedem drinnen." "Menschen sind Tiere", sagte Lapinski apodiktisch.
(S. 117f.)
© 2004, Haymon, Innsbruck.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.