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Katharina Pressl – Andere Sorgen.

Leseprobe:

Hinter der nächsten Birke tritt eine Frau hervor.
Sie bleibt stehen, will unsere Aufmerksamkeit. Papa zieht seine Augenbrauen hoch und beobachtet sie. Ich runzle meine Stirn in ihre Richtung. Sie ist sportlich angezogen, ihre Haare werden von einem Band aus Wolle zu einem Pferdeschwanz gebunden und aus dem Gesicht gehalten. Sie sieht aus, als wäre sie joggen gewesen, aber irgendetwas stimmt nicht.
Sie macht einen Schritt auf mich zu, holt mit beiden Armen aus und drückt ihre Handflächen mit voller Wucht gegen meine Schlüsselbeine, sodass ich aufschreie und rückwärts in die Kieselsteine falle. Die Kiste schlittert ein paar Meter von uns weg.
Die Frau ist mit einem Satz bei Papa und überdreht seinen Arm.
"Wo ist deine Geldbörse?" Sie greift in seine Sakkotaschen.
Ich höre Papa stöhnen und zwischen zusammengepressten Zähnen rufen: "Was soll das! Ich gebe ihnen gar nichts."
Ich steh auf und putze den weißen Kieselstaub von meiner Kleidung. Die Bilder liegen verstreut herum. Mein Gehirn weiß nicht, auf was es sich fokussieren soll, was zu tun ist. Hat Papa die Frau wirklich gesiezt? Waren hier immer Birken? Die Frau lässt Papa los, dreht sich abrupt zu mir und gibt mir eine Ohrfeige. Ich bin völlig perplex. Sie umklammert mich von hinten, mit einer Kraft, der ich nichts entgegensetzen kann. Ich versuche mich zu drehen und mache mit dem rechten Fuß Schritte im Halbkreis, um sie abzuschütteln oder ihren Griff zu lockern. Papa schnauft, ich bringe den Kies zum Knirschen, und die Frau ruft eindringlich: "Sag ihm, er soll mir sein Geld geben."
Ich versuche Blickkontakt mit Papa aufzunehmen. Er gibt weiße Wolken von sich, mehr nicht.
Die Frau schreit erneut an meinem Ohr vorbei zu Papa hin: "Er soll mir das Geld geben! Dann ist alles in Ordnung!"
Sie wiederholt "Dann ist alles in Ordnung!", als hätten wir es überhören können.
"Gib ihr was", stoße ich hervor. Die Frau hält mich so fest, dass mir das Sprechen schwerfällt. Als Papa nicht reagiert, nur schnauft, lässt sie mich los, stößt Papa mit beiden Händen gegen die Brust. Er fällt nach hinten, verliert seine Brille und seinen Aktenkoffer und bleibt reglos liegen. Die Frau übernimmt Papas Rolle: Sie starrt, schnauft. Weiße Wolken. Dann rennt sie los. Ich stehe wie angewurzelt da und blicke auf meine aufgeschürften Hände, bis mir Papa auffällt, der noch immer am Boden liegt. Ich laufe zu ihm, spreche ihn an. Er murmelt und grunzt. Ich setze ihn auf.
Er sagt: "Depperte Frau!"
Ich rüttle an ihm und rufe: "Krankenwagen?"
Er schüttelt den Kopf. Er blutet ein bisschen am Hinterkopf. Ich schaue nach links und rechts. Ich kontrolliere seinen Puls am Hals, obwohl Menschen, die sprechen, meistens noch atmen. Ich stehe auf, laufe zu meinem Auto, stelle es so nah wie möglich an den Weg, hieve Papa hinein, sammle den verstreuten Kisteninhalt wieder ein und fahre los. Auf der Fahrt zu sich nach Hause murmelt Papa vor sich hin. Ich nehme lediglich Fetzen davon wahr. "Was glaubt sie denn!" und "nur Sonntagabend Essen gehen".
Währenddessen bewege ich meinen Mund tonlos zu den Wörtern der Frau: Dann ist alles in Ordnung.
Papa stützt sich mit einem Großteil seines Körpergewichts auf mich und macht keine Anstalten, seinen Schlüssel hervorzuholen. Ich stütze mich auf nichts als die Luft und strecke meine Hand aus, bis sie endlich die Klingel berührt. Papas Freundin öffnet uns, den im Umfallen begriffenen Dominosteinen, die Tür. Ich beobachte auf ihrem Gesicht ein Erschrecken, das bei Papa und mir nie eingesetzt hat. Sie versucht, Papa an unterschiedlichen Stellen zu fassen zu bekommen. Ihre Stimme ist höher als sonst. Er ächzt. Sie fragt, was passiert sei, und Papa sagt, er sei gestürzt. Ruckartig drehe ich den Kopf zu ihm. Er weicht meinem Blick aus. Wir geleiten Papa hinein.
Ich kann nicht hören, was Papas Freundin sagt, weil es ohne Pause aus ihr heraussprudelt. Papas Erklärung scheint ihr zu genügen. Es wirkt nicht so, als würde ihr Fieber sie schwächen, sondern als würde es ihre Hingebung stärken. Wir legen Papa aufs Sofa, und sie holt Verbandszeug. Ich denke darüber nach, ob Leder Blut aufnimmt, wenn sich Papa ohne Unterlage hinlegt. Das nervöse Geplapper nähert sich wieder. Ich komme zu dem Schluss, dass eine glatte Ledercouch für eine Kopfverletzung vorteilhafter ist als eine Rauledercouch.
Die plötzliche Stille irritiert mich. Papas Freundin sieht mich an, als warte sie auf meine Antwort.
Ich räuspere mich. "Wie bitte?"
Mit im Stakkato ausgestoßenen Wörtern wiederholt sie: "Warum – zur Hölle – hast – du – ihn – nicht – ins – Kranken – haus – ge – bracht?"
"Er wollte es nicht?", frage ich mehr, als ich es sage, und sehe hilflos zu Papa.

(S. 59-62)

© 2019 Residenz Verlag, Salzburg-Wien

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 

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