Leseprobe:
SEASON 3. Episode 12.
24. Juni 2020. Wien.
Betty war sehr früh aufgewacht und hatte sich ins Wohnzimmer gesetzt. Fiorentina und Irma saßen schon da. Fiorentina trug das Pepitakostüm. Irma war im weißen Edeljogger. "Pyjamaparty?" fragte Fiorentina. Betty lächelte. Sie nestelte sich in die Ecke des Sofas und umarmte den weißen Polster. Diesen Polster. Sie hatte den Überzug in Karlsruhe gekauft. Sie war an einem Einrichtungsgeschäft vorbeigekommen und hatte diese weißen Pölster in der Auslage gesehen. Weiß mit weißem Muster. Abgenähte Girlanden. Es hatte die Girlanden geschwungen gegeben und abgezirkelt eckig. Betty hatte die geschwungene Version gekauft. Gleich danach. Das Paket mit dem Polster lag im Kofferraum vor dem Haus. Sie hatten die Witwe eines Freundes ihres zweiten Manns besucht. Der hatte sich dieses Haus in Karlsruhe gebaut gehabt. Sein Testament war das gewesen. Ein quadratisches Grundstück. Das Haus hatte das Grundstück fast ganz ausgefüllt. Der Vorgarten reichte rund um das Haus. Das Haus dem Grundstück folgend auch quadratisch. Das untere Stockwerk ein großer Raum, und die Stiege ins Obergeschoß hinauf als Skulptur gedacht. Alles weiß. 80er Jahre, die sich an die 70er erinnern wollten, sich aber von den 60ern absetzten. Der 68er-Rebell zum Kulturmanager gewandelt. Blankes Weiß, aber kein Neubeginn. Die Witwe hatte ihren Mann gebeten, ein Bild für sie zu verkaufen. Sie wollte dieses Bild nicht. Habe es nie gewollt. Und das Geld sei für den Sohn. Betty war an die gläserne Wand zum Wald gegangen. Eine weißlederne Sitzgruppe. Und da waren zwei solche weiße Pölster gelegen, wie sie ihren gerade gekauft hatte. Aber die abgezirkelt eckige Version. Betty hatte sich nicht gesetzt. Sie war stehengeblieben. Hatte hinausgeschaut. Es war kein Platz für eine Terrasse, aber man konnte die breiten Glastüren aufschieben und das Untergeschoß in eine Terrasse verwandeln. Betty hatte ganz genau gewusst, welche Partys da gefeiert worden waren. Sie hatte die Witwe sehen können, wie sie das Essen immer zu spät fertig gehabt hatte. Wie der Rotwein gekostet worden war. Wie die Männer an den weißen Mauern lehnend Politik gemacht hatten. Wie die Blicke der Männer über die Frauen hinstreifend einander eingeschätzt hatten. Wie die ersten Zweitfrauen aufgetaucht waren. Wie die Erstfrauen sich zu spät zusammengetan hatten. Wie die Zweitfrauen es dann gar nicht mehr notwendig gehabt hatten, sich bei den Erstfrauen beliebt zu machen. Wie die erste Fremde da mitgebracht worden war. Eine Fotokünstlerin aus der Ukraine. Wie die Erstfrauen erst krank geworden und die letzten Reserven der Abhängigkeiten ausgespielt worden waren. Diese Frau. Die Witwe. Sie war eine Erstfrau gewesen. Sie hatte ihren Mann überlebt, und nun lagen diese Pölster auf seiner weißledernen Couch. Es war gleich zu sehen gewesen, dass das geschmacklose Pölster waren. Betty hatte sich über sich geärgert. Warum hatte sie diesen Polster kaufen müssen? Aber es war genau so eine Vorstellung von Wohnzimmer gewesen, wie sie in diesem Haus in Karlsruhe ausgestellt war. Der Mann. Der Gründer einer Kunstakademie. Er hätte solche Pölster nie da liegen haben wollen. Die waren nachträglich gewesen. Die waren der Anteil der Witwe, die diese Pölster erst nach seinem Tod da hinlegen hatte können. Und mit dem eckigen Design. Die Pölster waren scheußlich. Wenigstens hatte sie das rundere Design gekauft gehabt. Aber damals. Beim Hinausschauen in den Wald. Die weiße Couch im Rücken. Sie hatte gewusst, dass auch ihr Polster schon eine Nachträglichkeit gewesen war. Sie. Betty. Sie war schon eine der Zweitfrauen gewesen. Sehr viel jünger als ihr Mann. Eine Autorin aus Wien. Die alten Männer wären dagestanden. Mit ihrem Rotwein in der Hand. Schon nicht mehr wirklich interessiert. Die Drittfrauen wären auf der weißen Couch gesessen und hätten sich über alles lustig gemacht. Auf Russisch. Sie war ja dann auch ersetzt worden. Mit einer Studentin. Der scheußliche weiße Polster war ein Versuch gewesen zu entsprechen. Hilflos und gut gemeint war das gewesen. Deshalb mochte Betty diesen Polster. Sie hatte es gut gemeint gehabt. Sie hatte nichts verstanden gehabt. Es war nur um Eitelkeiten gegangen, was da Liebe genannt worden war. Auch von ihrer Seite. Und der Polster erinnerte sie daran, dass sie sich in diese Eitelkeiten verführen hatte lassen. Der Polster wusste, dass sie bereit gewesen war, sich auch an diese weißen Wände zu lehnen und Mittäterin zu werden.
"Mach dir nicht immer diese heftigen Vorwürfe." sagte Irma. "Ich finde, die können gar nicht heftig genug sein." warf Fiorentina ein. "Hallo!" rief Betty. "Es ist alles gut gegangen. Ich sitze hier allein und schuldlos. Immerhin!" Irma nickte. Fiorentina schüttelte den Kopf. „Das ist doch mehr Zufall. Diese Schuldlosigkeit. Oder?"
(S. 195-197)
© 2020 bahoe books, Wien.
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