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Franz Wischin: Egon Schiele: "Ich Gefangener, schuldlos gestraft, gereinigt!".

Kunst oder Kinderpornographie: Die Affäre von Neulengbach 1912.
Wien: Brandstätter, 1998.
95 S., geb.; öS 498.-.
ISBN 3-85447-747-3

Die "Affäre von Neulengbach" ist wohl das skandalträchtigste Kapitel im Leben Egon Schieles. Drei Wochen Gefängnis waren ein traumatisches Erlebnis für den Maler; er schrieb darüber 1914 an einen Bekannten: "Damals wurde ich gemein erniedrigt für meine Güte ..."
(S. 83). War Schiele ein Opfer der Justiz?

Franz Wischin, emeritierter österreichischer Richter und somit "interdisziplinärer" Schiele-Kenner, hat nun rechtzeitig zur großen Schiele-Ausstellung in Tulln einen Text/Bildband dazu vorgelegt, der "wirklich Licht in diese trübe Angelegenheit" (so Hans Dichand im Vorwort; S. 8) bringen soll. Der Verfasser kritisiert zunächst die Ungenauigkeiten in der Literatur zu Schiele, etwa das "falsche Bild" (S. 17), das vor allem die amerikanische Forschung (z. B. Alessandra Comini) von der k.k. Justiz zeichne, oder die "rein subjektive" (S. 20) Behauptung Christian M. Nebehays, Schiele habe ein schweres Sexualdelikt begangen.
Eine genaue Aufarbeitung der Ereignisse und des juristischen Hintergrundes liefert dann der Hauptteil des Buches: Schiele, mit seiner Freundin Wally seit Herbst 1911 im niederösterreichischen Neulengbach ansässig, wurde eher zufällig in die Affäre hineingezogen: Ein 14-jähriges Mädchen hatte bei Schiele und seiner Lebensgefährtin Zuflucht vor seinen Eltern gesucht; Schiele wurde daraufhin des "Verbrechens der Entführung" verdächtigt, schließlich wurden auch Voruntersuchungen wegen des Verdachts der "Schändung" und der "Verletzung der Sittlichkeit und Schamhaftigkeit" eingeleitet. Der Verdächtige wurde wegen Verdunkelungsgefahr im Neulengbacher Gefangenenhaus 21 Tage in Untersuchungshaft gehalten und schließlich von einem Strafsenat in St. Pölten "nur" wegen "der Übertretung der Verletzung der Sittlichkeit und Schamhaftigkeit" zu drei Tagen Haft verurteilt (der Grund: er hatte Kindern freien Zugang zu seiner Wohnung gewährt, in der eine Zeichnung von einem halbnackten Mädchen an der Wand hing). Franz Wischin hat mit juristischer Genauigkeit unter Verwendung aller bekannten Dokumente die gerichtliche "Affäre" aufgearbeitet und somit dazu beigetragen, daß Ungenauigkeiten der Forschung berichtigt werden können: Schiele war demnach durchaus kein Opfer der Behörden: Hafterleichterungen, die milde Strafe und ein zügiges Strafverfahren sprechen für die k.k. Justiz. Seine Situation dürfte er selbst aus "Arglosigkeit, Leichtsinn und Unbedachtsamkeit" (S. 60) verschuldet haben. Es gibt jedoch keinerlei schlüssige Beweise dafür, daß Schiele (was ihm manchmal unterstellt wurde) sexuellen Kontakt zu seinen Modellen gehabt oder auch nur gesucht hat.

Wie steht es mit den "Urteilen" über sein Werk? Am St. Pöltener Gericht wurde zwar nicht darüber verhandelt, ob das Beweisstück (eine kolorierte Aktzeichnung) Kunst oder Pornographie sei (wie es der Untertitel des Buches vermuten läßt) - man vernichtete es jedoch sicherheitshalber, obwohl dies rechtlich nicht gedeckt war. Das gleiche Schicksal ereilte 1923 noch weitere Schiele-Werke bzw. Reproduktionen. Wie es dazu kam, erfährt man im Kapitel "Der Vorwurf der Pornographie", das neben sachlicher Darstellung auch einige bescheidene persönliche Überlegungen des Autors zum Thema Kunst/Pornographie enthält. In weiteren, kurzen Abschnitten werden noch "Schieles Refugium in Au" (sein Haus in Neulengbach), der Zustellungsbogen zum Strafakt und das "Gefängnis als Maleratelier" dokumentiert. Im Anhang findet man schließlich einen Reprint des 1922 erschienenen "Tagebuchs" "Egon Schiele im Gefängnis" von Arthur Roessler, ein interessantes Dokument, das der Schiele-Freund als "schriftstellerisch und zeichnerisch geformte Nachempfindung von Schieles Erlebnissen" (S. 87) konzipiert hatte, und das in der Schiele-Forschung lange Zeit als vorgeblich authentische Quelle eine große Rolle gespielt hat.

Was an Wischins Band stört, ist der Aufbau des Textes: etwa die Reihenfolge der einzelnen Kapitel, das etwas abrupte Abbrechen bzw. die Unverbundenheit einiger Abschnitte, das Fehlen der in der Einleitung angekündigten Schilderung der Zeit in Krumau. - Ansonsten ist das Buch eine minutiöse Dokumentation eines wichtigen Abschnittes in Schieles Leben, die durch eine gelungene Bild- und Photoauswahl ergänzt wird.

Zum wieder einmal aktuellen Streitpunkt Kunst/Pornographie sei noch ein Ausspruch Schieles wiedergegeben, so wie er uns von Arthur Roessler überliefert wurde: "Kein erotisches Kunstwerk ist eine Schweinerei, wenn es künstlerisch bedeutend ist, zur Schweinerei wird es erst durch den Beschauer, wenn er ein Schwein ist." (S. 57)

Peter Stuiber
5. August 1998

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