Zahnarzt Dr. Czingler sah aus wie Dr. Mengele und das Schaudern vor seinem Wirken hatte schon so früh von mir Besitz ergriffen, dass ich beim ersten fotografischen Kennenlernen Dr. Mengeles meinte: Sieht aus wie Dr. Czingler! Dr. Czingler hatte eine Ordination, die nach Äther stank und anderen hochchemischen Betäubungsmitteln, ihm zu Diensten war eine gnadenvoll Ergebene, nie konnte ich rausfinden, ob es seine Frau war oder sonst ein gebrochenes Wesen mit chronischer Ichschwäche. Dr. Czingler und seine Assistentin, die ihm Foltergabeln und Bohrmeißel reichte und Ätherbäusche und Amalgam, und mit dünnem, bis zur Atomdicke zugespitztem Bleistift Schmerztermine in den Kalender trug, Dr. Czingler war mein Ferdinand.
Ihm war der Bohrer entglitten, eines Tages, im Advent meines Teenagerlebens, als ich elf war, in der Glockengasse, sie zweigt vom Geschäft ab, in dem Behinderte ihre Prothesen bestellen. Das grausame Knirschen des Telefons hatte ihn abgelenkt, und statt mit dem Schmerzschrauber innezuhalten, war er mir von innen in den Vorderzahn gefahren, hatte ein klitzekleines Stückchen vom Adamantin zerstört, der härtesten Substanz in meinem Körper, der härtesten von Lebenwesen produzierten Substanz. Er hatte es nicht einmal bemerkt.
Weil sein blödes Telefon läutete, bohrte mir Dr. Czingler, der Folterknecht, ein Loch ins Adamantin. Als ich schrie, aus Wut, vor Schmerz und beleidigt von der Ungeheuerlichkeit, dass der Ferdinand meines Vorderzahns sein Telefonat tatsächlich auch noch annahm und mit seiner durch die geschlossenen Zähne gepressten Stimme dentale Konversation betrieb, als ich schrie, weil der Mann mich durchbohrt hatte, an der Stelle, an der ich am unzerstörbarsten war, auf der Innenseite meines Vorderzahns, da war es um mich geschehen. Ich wurde, gerade adamantinös zerstört, paranoid unhypochondrisch. (S. 24f)
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