1
KLEIST, von einer Leichenöffnung auf die Straße tretend, erkannte in dem Geäst der Bäume die Adern wieder, die freizulegen waren, die Nerven- und Lymphbahnen, das menschliche Netzwerk, in absickerndem Blut; auch war er nicht imstande, in einem Graphikkabinett, wo man italienische Ansichten zeigte, länger zu verweilen, weil sich ihm die Landschaften zu sehr nach den Körperinnenansichten, dem anatomischen Interieur, zu orientieren schienen; selbst als er in ein Theater ging, wo eine schlichte Commedia gegeben wurde, fielen ihm nur die Masken auf, die auf den Nasen sitzenden Nasen, die Bänder, das Gebändel, und erst als er eine Kirche aufsuchte, wo man ein Orgelkonzert gab, war er so weit, sich in die Musik versetzend, eine Alternative zu denken zur menschlichen Anatomie, aber nur so lange, wie das Konzert dauerte: unterwegs, in den Straßen, kam der Anblick der Leiche zurück, und die Welt erschien ihm nun nichts anderes zu sein ale eine große, unabsehbare - Eröffnung. (S. 5)
© 1999, Ritter, Klagenfurt, Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.