Ich wendete mich im Nebel um die eigenen Achse. Und stieß gegen einen Körper. Im Zurückweichen sah ich empor und erkannte das Gesicht des Mannes, den zu treffen ich gehofft hatte. Den als Dieb ich vor mir hatte weglaufen gesehen.
"Hast Du das Buch?" fragte ich, und ich schämte mich meiner Frage.
Er hob eine Augenbraue. "Du wolltest mir das Buch doch heute schenken."
"Ja, das wollte ich", bestätigte ich, "aber es wurde mir entwendet. Ich dachte, daß Du selbst es an Dich gebracht hättest."
"Wie hätte das geschehen sollen, da wir einander jetzt erst treffen, da es schon verloren ist."
"Gestohlen."
"Wie dramatisch Du Dich ausdrückst. Aber kränke dich nicht, wir werden eine neues Buch für Dich finden." Er legte einen Arm um meine nasse Schulter und drehte mich zu ihm. Als er seine Lippen den meinen näherte, zog er mich näher zu sich. Seine Lippen waren weich, aber seine Brust war hart. Ich spürte das Buch unter seinem Mantel. Ich begann zu weinen, weil ich wußte, daß er mir das Buch nicht geben würde und ich viel zu schwach wäre, gegen seinen starken Körper zu kämpfen.
Er lächelte mich an.
"Es ist Dein Herz", sagt er; "das ich haben wollte, nicht ein Buch."
Dieses Buch ist all mein Wissen, all meine Vernunft, all meine Gefühle sind darin beschrieben, gib es mir zurück, ich bitte Dich."
"Wie gut ich das brauchen kann", sagte er und legte seine schwere Hand auf die Brust.
"Dieb", schrie ich, "nicht freiwillig habe ich es Dir gegeben, Dieb!"
"Na und", sagt er, "ob freiwillig oder nicht, spielt doch keine Rolle. Du wolltest mich treffen, jeder weiß, daß Du es mir freiwillig gegeben hast."
© Barbara Neuwirth.
Publikation mit freundlicher Genehmigung der Autorin.