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Max Blaeulich: Gatterbauerzwei oder Europa überleben.

Roman.
St. Pölten, Salzburg: Residenz Verlag 2006,
335 S., geb., Eur 21,90.
ISBN 3-7017-1451-7.

Link zur Leseprobe

Manchmal kommt es vor, dass man noch während des Lesens eines Buches Freunden oder Bekannten bereits davon erzählt. Es gibt Neues zu berichten, die Faszination über unerwartete Einsichten oder bloß seltsame Geschichten mitzuteilen, die Freude darüber auszudrücken, dass man sich wirklich angesprochen fühlt. Und dann ist man nach Abschluss der Lektüre plötzlich sprachlos, weiß das Ganze nicht recht einzuordnen oder ist schockiert, weil man erst jetzt bemerkt, dass man in einen offenen Abgrund geschaut hat. Der neue Roman des Salzburgers Max Blaeulich "Gatterbauerzwei oder Europa überleben" hat bei mir all das ausgelöst.

Das Mitbringsel jener Ugandaexpedition, die Blaeulich in "Kilimandscharo zweimeteracht" inszeniert, ist vom Forschungsreisenden Krumpke an seinen Ex-Diener Gatterbauer, "nach dem ihn Krumpke seinerzeit der Bequemlichkeit halber als Nummer zwei benannt hatte" abgetreten worden. Er ist "Büttel im Café Expedition, der die Scheiße und den Schmutz im Bordell Gatterbauers wegzuwaschen hatte, damit erneut Scheiße, Sperma, Blut, Urin und Kotze auf die frischen Leintücher gespritzt werden konnte". Aus diesem menschenverachtenden Wien macht er sich auf die Flucht, auf die Suche nach Afrika. Verletzt von einem Hund fällt er in Ungarn in die Hände eines Packs von Säufern, die ihn der Markgräfin Pallavicini verkaufen wollen. Ihr dient er als Medium in Seancen und als dominanter Liebhaber, dem Grafen als Bursch an der Front, in russischer Gefangenschaft als lebende Zielscheibe, bei der Fremdenlegion als maschinenhafter Killer und zuletzt in Uganda als Ausbildner von Kindersoldaten und Operateur eines Kinos, das österreichische Kriegswochenschauen zeigt. "Europa überleben, heißt Österreich entkommen", vermutet der Erzähler des Romans einmal recht griffig. Beides trifft für Gatterbauerzwei nicht zu. Europa mit seinem Nationalismus, seinem Rassismus, seinem Militarismus expandiert, das Opfer ist Afrika, in dem angekommen Gatterbauerzwei als Fazit seines Lebens mit dem österreichischen Film europäische (Un-)Kultur verbreitet, der er gänzlich zum Opfer gefallen ist.

Max Blaeulich erzählt diesen Roman chronologisch, verzichtet auf Fußnoten und Literaturangaben, der Anhang enthält nur ein Glossar verwendeter Austriazismen. Das Buch spielt in der Zeit um den Ersten Weltkrieg, den Großen Krieg, wie er in Frankreich genannt wird, und bezieht eine Vielzahl europäischer Schauplätze mit ein. Überall - geographisch und durch die sozialen Schichten - Grausamkeit, grässliches Barbarentum, lächerliches Vorurteil, bornierte Eitelkeit. Unglaublich schwarze, aber als gelungen zu bezeichnende Milieuschilderungen aus dem österreichischen Adel und der erwähnten Säufergesellschaft bebildern auf schockierende Weise, wohin eine Gesellschaft ohne Platz für Menschlichkeit treibt. Und da fällt nicht nur auf die österreichische entlarvendes Licht. Der Autor nimmt sich in seiner Darstellung kein Blatt vor den Mund. Sein Reden ist hyperbolisch und (selbst-)ironisch. Die literarischen Anspielungen auf Musil und Grass wirken möglicherweise etwas aufdringlich, sind aber nicht ohne Witz. Jedenfalls gelingt es Blaeulich, den Vorsatz seines Anti-Helden, den dieser im Nahkampf fasst, "Kein Gefühl mehr (...) nur mehr kaltes Gelächter" zu einem poetologischem Programm zu machen.

Der Roman, der ein mit Action voll gepacktes Leben beschreibt, ist vor allem interessant wegen seiner Theorie. Zumindest drei seit der Wende zum 20. Jahrhundert aktuelle Diskurse werden, wenn mitunter auch einseitig, insgesamt doch gut fundiert dargestellt und auf ihren Beitrag zur Jahrhundertkatastrophe hin analysiert. Es geht dabei um Esoterik, die Technik des Fliegens und den Film.
Doch auch die absurde Welt des Verkaufens, wie sie der Knopfvertreter Kronigl repräsentiert, das Schreiben, am Beispiel des palindromvernarrten praefaschistischen Sekretärs Rosenberger, und die Wirksamkeit von Literatur, vorgeführt am traurigen Schicksal des Büchernarren Bucevich, werden zum Thema gemacht.

Von Gatterbauerzwei wird erzählt, dass er sich oft fragte, "was Wahnsinn in Wirklichkeit ist". Wenn dieser Roman etwas mit Wirklichkeit zu tun hat, was mit ein wenig Kenntnis der Geschichte des 20. Jahrhunderts kaum zu leugnen ist, gibt er genau auf diese Frage detaillierte Auskunft.

 

Helmut Sturm
25. Oktober 2006

Originalbeitrag

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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