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Marko Dinic: Die guten Tage.

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Roman.
Wien: Paul Zsolnay Verlag, 2019.
239 Seiten; geb.; 22 Euro.
ISBN 978-3-552-05911-5.

Autor

Rezension

 

Leseprobe:

Wir fuhren schon seit einer Stunde. Die Grenze zwischen Österreich und Ungarn passierten wir ohne größeres Aufsehen. Obwohl Wien keine Autostunde entfernt war, überkam mich dennoch, je weiter wir Richtung Osten vordrangen, eine Art dunkle Vorahnung, ein Gefühl der Beklommenheit, das ich gut kannte und das sich nicht einfach abschütteln ließ.

Beim ersten Blick aus dem Fenster zog ein dünner Wolkenschleier am Himmel auf, einige in der Ferne noch ruhende Windräder reckten die Stahlglieder in den leichten Nachmittagswind. Wie eine schlechte Gewohnheit tuckerte der Bus über die Autobahn. Die Personenkontrolle durch die ungarischen Zollbeamten in Zivil kurz nach dem Grenzübergang war reine Formsache gewesen. Seit den Vorfällen an der Außengrenze vor einem Monat war die Stimmung angespannt, und das ließen uns die lächerlich aufgeplusterten Gestalten auch spüren. Doch die auf misstrauisch getrimmten Blicke der Beamten konnten nicht über die Langeweile hinwegtäuschen, mit der sie an diesem Grenzabschnitt kontrollierten.

Der Bus von Salzburg nach Nis, auch Gastarbeiterexpress genannt, war nicht die gemütlichste, aber die günstigste Reisevariante nach Serbien, auch wenn die Preise seit meiner letzten Fahrt beachtlich gestiegen waren. Das hatte unter anderem mit der Aufstockung der Flotte um drei weitere Fahrzeuge und dementsprechend viele Fahrer zu tun, wie mir die Dame am anderen Ende des Hörers mitgeteilt hatte, als ich vor wenigen Tagen mein Ticket nach Belgrad reservierte.

Nun saß ich in einem dieser neuen Busse und ließ mich von meinem Sitznachbarn volllabern, einem etwas untersetzten Mann mittleren Alters, dessen euphorisches Gemüt nicht recht zur lahmenden Stimmung dieser Fahrt passen wollte. Unter seinem abgewetzten Parka lugte, wenn er die Hände hob, ein knallroter, löchriger Pullover hervor. Er schwitzte stark und roch streng nach Zigaretten und billigem Aftershave. Sein schütteres Haar, zu so etwas wie einem mageren Scheitel gekämmt, überdeckte nur schlecht die von Schweißperlen übersäte Glatze. Die etwas verwahrloste Erscheinung unterstrichen seine dunklen, schlammigen Augen und die grauen Zähne, die er durch krampfhaft verzogene Lippen zu verbergen suchte. Dennoch wirkte er freundlich, seine tiefe rauchige Stimme fast vertraut. Obgleich er sich anstrengte, mir irgendetwas über den letztjährigen Visumsantrag eines Bekannten zu erzählen, führte er vielmehr Selbstgespräche, was ihn aber nicht zu stören schien.

Ich war mit meinen Gedanken ganz woanders, während das Euroliner-Monstrum langsam wieder die mir gut bekannte Ungarn-Geschwindigkeit aufnahm, ein gleichmäßiges Rollen auf einer nahezu kurvenlosen Autobahn, von der ich immer gedacht hatte, sie würde, einem weißen Rauschen gleich, keinen Anfang und kein Ende kennen.

Die Busse fuhren jeden Tag und hielten auf ihrer Fahrt noch in Wels, Linz, Wien, Budapest, Subotica, Novi Sad, Belgrad und Kragujevac. Ich war in Wien eingestiegen. Die Gesichter der grimmig dreinblickenden Fahrer erhellten sich, als sie mich beim Einsteigen erblickten. Sie grüßten mich liebevoll, als würden sie mich von früheren Fahrten kennen, was aber nicht sein konnte – ich war vor etwa zehn Jahren das letzte Mal mit einem Gastarbeiterexpress gefahren, damals jedoch in die entgegengesetzte Richtung.

Jedenfalls passten ihre roten, klobigen Nasen und aufgedunsenen Wänste zum Rest der Reisegesellschaft, die hauptsächlich aus Männern bestand – Mittfünfziger, denen die Diaspora anzusehen war, die körperliche Arbeit und der Alkoholismus, eine Mischung, die nur im Ausland so hatte entstehen können, weil es in Serbien zwar nicht an Alk, aber an Arbeit mangelte. Diese Männer schickten sich nun an, den Bus während der fast fünfzehnstündigen Fahrt in ein Biotop aus Kuriositäten und Schweinereien zu verwandeln, die hier jedoch selbstverständlich waren. Sie nuckelten unentwegt an ihren mitgebrachten Schnapsflaschen oder tranken die Biere, die die Fahrer unter der Hand für einen Euro dreißig weitergaben. Stunden voll quälenden Turbo-folk-Geplärres ergänzten den Saufbetrieb in den ersten Reihen. Hie und da – wenn es einem der Fahrer mal selbst zu viel wurde – spielten sie einige Lieder von Bijelo Dugme, bei denen die wallenden Gemüter verdächtig still wurden und eine nahezu nostalgische Andacht herrschte. Meist lief der Fernseher mit. Alte Diaspora-Filme über Zika, den alle nur Herr Zika nennen, der sich in den siebziger Jahren in Frankfurt als Klempner eine Wohnung in Belgrad erarbeitet hatte und nun in neun Filmen seiner ganz persönlichen goldenen Zeit nachtrauerte. Ich war froh, dass ich in Belgrad aussteigen musste.

(S. 9ff.)

© 2019 Paul Zsolnay Verlag Wien

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