Wie oft hatte ich dieses "Du denkst immer nur an dich" bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit von ihr [der Mutter] zu hören bekommen und hatte es niemals verstanden oder verstehen wollen. Ich konnte nicht mit mir abrechnen, ohne mir auch diese furchtbarste Anklage entgegenzuschleudern: Du denkst immer nur an dich. Es ist wahr, ich denke immer nur an mich, gab ich zu. Mein Leben hätte vielleicht so etwas wie einen Zweck, so etwas wie ein Ziel, wenn ich mich nur selbst vergessen könnte, wenn ich mich nur in irgendeine Gemeinsamkeit hineinschmelzen, mich darbringen und aufopfern könnte. Aber eben davor hatte ich noch mehr Angst als vor dem Leben selbst, vor diesem Erlöschen in einem Willen, der stärker war als ich und mich aufsaugte und spurlos verschluckte, eine rasende Angst. Und wenn ich auch damit rechnen konnte, tausendfach zurückzubekommen, was ich hingeben mußte, auf das bißchen ich, das ich überhaupt besaß, konnte ich einfach nicht verzichten. Um Handlangerdienste zu tun, die keiner beachtet, und wozu taugte ich sonst, um die winzigste Schraube einer Maschine zu sein, verlohnte es sich mir einfach nicht, mich aufzuopfern. Ich konnte es mir nicht leisten, mich zu vergessen, weil mich jeder vergaß. Ich war selbstsüchtig, weil ich sonst nichts war. Einfach widerlich war das.
(S. 144)
©2001, Literaturverlag Droschl, Graz-Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.