Wer sich in den Ardennen verliert, der ist verloren. Was nützen einem Pläne und Gebete. Eine Landschaft ohne Gesichter ist wie Luft, die keiner atmet. Eine Landschaft an sich ist nichts. Durch das belaubte,aber leblose Land zog am zweiten Montag vor Ostern der deutsche Unteroffizier Gauthier Bachmann. Den Stock in der Linken ließ er über die Stämme knattern, sie standen so eng wie Zaunpfähle. Zu seiner Rechten dehnten sich ungepflügte Felder bis zum Horizont. Ein Föhn wehte aus dem Süden, trieb Lerchen und andere kleine Vögel vor sich her, trocknete die Pfützen zwischen den Schollen und verfing sich in den Ästen. Bachmann war schwer und formlos wie die Wolkendecke, die über den Feldern lag. Seine Lippen waren so trocken wie die Rinde an den Bäumen, sein Magen so leer wie das flache Land. Er sah nur, was sich in sein Blickfeld drängte: die spitzen Finger dünner Äste, grünes Haar, das aus dem Boden wucherte, braune Geschwüre, die aus Erde schienen, Eingeweide, das Wurzeln ähnlich war. Der Hunger machte ihn federleicht. Die fünfte Woche in den Ardennen war angebrochen. Etwas mußte - und zwar recht bald - geschehen. Wo es Felder gibt, muß es auch Menschen geben, und wo es Menschen gibt, können Kasernen nicht fern sein. Der Gedanke an die Kasernen mit munteren, strammen Soldaten verzog ihm den Mund zu einem Lächeln. Er suchte eine Lücke in den Reihen und fand eine, wo er sie am wenigsten erwartet hatte. Gleich in der ersten Reihe. Morgenappell. Abzählen. Eins, zwei, drei, vier. Die Stimmen waren scharf. Die Köpfe wurden ruckartig zur Seite geworfen. Einundzwanzig, rief er laut. Einundzwanzig. Unteroffiziert Gauthier Bachmann vom 8. hessischen Infanterieregiment. Ich bin bereit, jawohl bereit. (S. 9f.)
(c) 1997, Paul Zsolnay Verlag Gesellschaft m. b. H., Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.