(S. 56)
"Wer wohl, fragte er sich manchmal, hatte sich das als erster ausgedacht: ein Gleis, mit Schienen, Holzschwellen und Schotter? Wohl der, welcher auch von der ersten Lokomotive phantasiert hatte?
Ein Gleis wirkte jedenfalls seit je poetisch und romantisch und abenteuerlich auf ihn. (Nur eine einzige Sache störte diese Stimmung: ihm unvergeßliche Bilder jener Gleise, die auf Vernichtungslager zugeführt hatten – als hätten alle Gleise weltweit damals, so mißbraucht, ihre Unschuld verloren, für immer...)
Sonne, Wind, Laubrascheln. Von "draußen" (meist von unten, von den Tälern rechts und links) drang das Geräusch der Traktoren herein.
Öfter lagen Kukuruzkörner, mitunter auch in größerer Menge, auf der Straße, vor allem nahe der Kukuruzfelder, oder vor den Kreuzungen und Bahnübergängen: wahrscheinlich da beim Bremsen und Anfahren mit den Traktoren die Rucke, so daß Körner vom Anhänger fielen.
Erst am Abend erfuhr er: das Haus in der Nähe der nächsten Haltestelle war gegen Ende des Zweiten Weltkriegs Fluchtstation der Mutter und ihrer ganzen Herkunftsfamilie gewesen. Damals, Eltern und Kinder auf der Flucht vor den heranrückenden russischen Truppen, hatten sie zuvor eine Nacht in einer Streuhütte im Wald verbracht und eine andere in einem Durchlaß des Bahndammes, bis sie hier Unterschlupf gefunden hatten ... Die Flucht übrigens vergebens."
© 2008 Edition Korrespondenzen, Wien.