In einer Dezembernacht klopfte Agnes an Jakobs Tür, die Kapuze des Anoraks noch tief im Gesicht, auf ihren Schultern lag Schnee. Ein wenig Mut habe sie sich unterwegs schon angetrunken, sagte sie, kalte Füße bekommen und beschlossen, heute lieber bei ihm zu schlafen, "eigentlich mit dir, genau genommen mit dir und eigentlich nicht schlafen. Ich brauche heute kein Gespräch, keinen einzigen schönen Satz. Nicht denken. Heute nicht." Vielleicht zog er sie, als wäre er überhaupt nicht überrascht, so ruhig in seine Wohnung hinein, weil er in der anderen Hand eine Zigarette hielt.
"Jakob Kläger", flüsterte Agnes wie zu sich selbst, nachdem sie lange still nebeneinander gelegen waren und er sich im Anblick ihres Ohres, auf dessen Helix feinste Härchen schimmerten, verirrt hatte. Er fand, dass sein Name noch nie mädchenhafter ausgesprochen worden war.
"Jakob Kläger", wiederholte sie mit festerer Stimme, "so hast du für mich geheißen, als ich fünfzehn oder sechzehn war. Das erste Mal habe ich deinen Namen auf dem frisch montierten Türschild gelesen, du hast ziemlich langes Haar gehabt und meistens eine Sonnenbrille, hast jünger ausgesehen, als du warst, aber für mich doch zu alt. Bist du dünner geworden seit damals?"
"Eher nur älter."
"Überrascht war ich schon, als ich dich das erste Mal sah. Ich weiß nicht, unter einem Jakob Kläger habe ich mir einen, ich weiß nicht was, vorgestellt."
"Einen Juristen?"
"Nein, dafür war das Türschild zu schäbig, kein Titel", sie lachte, "aber du brauchst dir nichts einzubilden, verknallt war ich in dich nie. Aber dein Name hat mir gefallen, Jakob Kläger, hat meine Großmutter gesagt, ist ein stiller Nachbar."
"Das ist ein schöner Satz, wenn auch wahrscheinlich ein Irrtum."
"Jakob Kläger?"
"Ja?"
"Magst du meinen Namen?"
"Na, dann hören wir ihn uns einmal an", er sprach ihren Namen sehr langsam aus, "Agnes Sternfeld", er machte eine Pause, "schöner geht es kaum."
"Ob du ihn magst, nicht, ob er schön ist."
"Doch. Ich mag ihn sehr. Ich mag das G, ich mag, wie dein Namen am Gaumen kitzelt. Gn spürst du das? A - gn - es. Und die griechische Herkunft, die Bedeutung, das ist schon verwirrend. Das Heilige, das Reine, das Keusche."
"Auch ein Irrtum, aber bitte mach weiter."
"Verwirrend und schön", er lachte, "das mag ich. Und der Stern, das Feld, die Sternenfelder. Ich mag der, die das."
"Und ich mag, wenn du sprichst. Du wirst nicht müde dabei, nicht so aufgeregt. Du sprichst, ich weiß nicht - wie ein zähes Tier. In den letzten Wochen hätte ich dich aber manchmal lieber unterbrochen. Ob er mich jetzt nicht doch einmal küssen könnte, habe ich mir gedacht. Jakob Kläger wird doch nicht entgangen sein, dass ich bereit bin, geküsst zu werden."
"Ist ihm nicht, und ist ihm doch. Ich habe mir aus Sicherheitsgründen zugerufen, sprich weiter, Jakob, nicht aufhören! Auch wenn die Sätze meistens gar nichts verbindet, das macht nichts, irgendetwas hält."
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