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Renate Welsh: Die alte Johanna.

Leseprobe:

Manchmal war sie wütend auf diesen alten Körper, der sie vor den Leuten blamierte. Sie hasste es, wenn er sie im Stich ließ. Ihr Leben lang hatte sie sich auf sich selbst verlassen können.
Wie still es hier war. Kein Traktor tuckerte, keine Kreissäge kreischte, kein Rasenmäher röchelte. Kein Hundegebell, keine quietschende Tür, kein Schrittgetrappel vor ihrem Fenster. Selten fuhr ein Auto vorbei.
In ihrer Küche zu Hause hatten sich die Besucher die Klinke in die Hand gegeben. Manchmal war sie auf der Eckbank eingeschlafen und war hochgeschreckt, weil jemand ihr gegenübersaß und ihr beim Schlafen zuschaute.

Wer keine Freude hat, ist arm,
Dies Haus ist reich.


Der Spruch war, auf Stramin gestickt, in einem Rahmen, den Peters Vater gestickt hatte, über der Tür zwischen Vorhaus und Küche gehangen. Peter hatte den Rahmen in Ehren gehalten. Sie hätte ihn mitnehmen sollen. Es wäre nicht recht, wenn er im Müll landete.
In ihrem eigenen Haus hätte sie jetzt Kaffee aufgesetzt. Ihr Leben lang hatte sie gekocht, hatte sie im Herd Feuer gemacht, auch bei Niederdruckwetter, wenn der Kamin nicht ziehen wollte, ihr war es immer gelungen, eine ordentliche Glut zustande zu bringen. Warum sollte sie das jetzt nicht mehr können?
Mehr als einmal hatte Martha ihr den Wasserkessel aus der Hand genommen, sie war wütend in ihr Zimmer gegangen, Was sollte das? Messer, Gabel, Scher' und Licht sind für alte Weiber nicht, oder was? Die Tochter meinte es gut, das wusste sie, natürlich wusste sie das, nur bedeutete es noch lange nicht, dass sie damit einverstanden sein musste!
Zugegeben, sie war zweimal gestürzt, hatte sich das Hüftgelenk gebrochen. Unfälle passierten eben, passierten auch Jüngeren. Sie hatte sich ja auch drein gefügt, zur Tochter zu ziehen, zu dieser Tochter, die ihr von allen Kindern am ähnlichsten war und doch auch wieder ganz anders Wie war denn das möglich, ganz ähnlich und ganz anders zugleich? Möglich war es nicht, aber wahr.
Sie hatte nicht gedacht, dass es so schwer werden würde. Es ging ihr gut, sie hatte keinen Grund zur Klage und beklagte sich auch nicht. Jammern und Raunzen war nie ihre Sache gewesen, das hatte sie anderen überlassen, die nichts Besseres zu tun hatten. Sie hatte nur nicht gewusst, wie sehr sie ihr Haus vermissen würde.
Das Haus am Rande des Dorfes, am unteren Ende. Eigentlich lächerlich, dass es bei einem so kleinen Dorf ein oberes und ein unteres Ende geben sollte, und doch war es so. Oberhalb der Hollerstaude gegenüber der winzigen Kapelle waren die Besseren, unterhalb war das rote Gesindel. Heute wollte natürlich keiner mehr davon wissen, dass er das gesagt hatte, oft und oft. "Haben nichts, sind nichts, aber jedes Jahr ein Kind!" Sie straffte sich. Acht Kinder, jawohl, acht Kinder hatte sie geboren, und stolz war sie auf jedes von ihnen. Alle hatten sie ihren Weg gemacht, die Töchter genauso wie die Söhne.
"Aus denen kann nichts werden", hatte der Direktor der Volksschule gesagt, "bei der Familie! Ich bitte Sie, hat doch keinen Sinn, einen von denen in die Hauptschule zu schicken." Also waren alle acht Kinder in die Volksschule gegangen, acht Jahre lang. Mehr war nicht drin, mehr konnten sie sich nicht leisten.
Dreißig – oder waren es vierzig, vielleicht sogar fünfzig? – Jahre später bekam ihr ältester Sohn den Titel "Professor" verliehen, und wer stand da unter den Gratulanten, weniger Haare auf dem Kopf, aber immer noch mit durchgedrücktem Steiß? Nicht aufhören konnte er, ihr die Hand zu schütteln. "Ich habe ja immer schon gewusst, dass in Ihrem Sohn etwas Besonderes steckt, und ich bin stolz darauf, sein erster Lehrer gewesen zu sein." Es war ihr auf der Zunge gelegen, ihn daran zu erinnern, was er wirklich gesagt hatte. Den ganzen Weg nach Hause hatte sie sich geärgert, dass sie es nicht getan hatte. Hatte nur ihre Hand zurückgezogen und sich die Nase geputzt.

(S. 17-20)

© 2021 Czernin Verlag, Wien

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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