ZU HEINER MÜLLER "BILDBESCHREIBUNG"
er schreibt einige Wörter auf das Blatt dann nimmt er den Bleistift und zeichnet er greift zum Pinsel und malt der Himmel preußisch blau das Wetter ist schön die Sicht ist klar am Horizont ein flaches Gebirge die Menschen seßhaft das Haus im Vordergrund ist ein Wohnhaus unter seinem Dach lebt die Familie Vater Mutter Sohn und Tochter ein Glaspokal auf einem Gartentisch den Garten umgrenzt ein Bretterzaun neben dem Haus steht ein Baum auf einem Baumast sitzt ein Vogel Tiere und Menschen leben friedlich nebeneinander die Vögel singen wenn der Frühling kommt eine Frau steht im Garten das Gesicht ist sanft sehr jung sie ist grazil ihre Figur verkörpert Ebenmaß sie ist das Bild der Frau sie erbarmt sich des Bettlers die Krempe seines Huts ist speckig die Kleidung ein löchriger Fellmantel er schreibt weitere Wörter auf sein Blatt er steht in gerader Linie doch ziemlich weit weg von dem Bild hinter ihm liegt der Schatten ruhig und bewegungslos so wie er selbst seine Augen sind braun seine Haltung verrät keine Erregtheit hinter ihm in der Ecke hängt ein Rahmen er ist schlecht beleuchtet man sieht ihn kaum jetzt malt er wieder mit sattem Strich er hält den Pinsel in der Hand schräg links von hinten ist sein Gesicht gut erkennbar
(c) 1997, Blattwerk, Linz, Wien.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.