Nach Europa.
Einige von ihnen kennen Paris in- und auswendig, die spazieren darin herum, sie haben sich Stadtkarten organisiert und sich Bilder aus dem Internet geholt, die können dir jeden Platz in Paris beschreiben, auch Barcelona und Rom, hier sind alle europäischen Städte vertreten, zumindest in ihrer Phantasie, so wie sich fast alle afrikanischen Länder hier finden lassen.
Sie sehen nicht aus, als wären sie gestern angekommen, sie sehen aus, als würden sie schon ewig hier hausen, als würden sie gar nicht weg wollen, obwohl das Ziel doch zum Greifen nahe ist, das versteh ich nicht, wer so weit gekommen ist, bis hierher, direkt vor Europa, der kann doch nicht hierbleiben. Was ist mit ihnen? Worauf warten sie? Warten sie denn auf etwas?
Vielleicht auf Geld, Helen? Die warten auf das Geld für die Überfahrt.
Die sehen länger aus als die zehn oder vierzehn Tage, die eine Überweisung dauert.
Ja und?! Dann gibt es vielleicht niemanden mehr, den sie fragen können!
(S. 12)
Er schiebt Helen ein Stückchen in die Richtung der Soldaten, bis sie sich von selbst und wie eine Schlafwandlerin in Bewegung setzt, sie macht einen ersten Schritt, dann einen zweiten und einen dritten. Sie bewegt ihre Lippen lautlos, so, als spreche sie mit sich.
Alles wird wie weggewischt sein, wenn du erst auf der anderen Seite bist, dann ist das hier nie geschehen, nichts von dem ist je geschehen, es löst sich auf in dem Augenblick, wo die die andere Seite betrittst, es gibt dich dann nur noch auf der anderen Seite, nicht mehr auf dieser hier, wo sie dich auslöschen können jede Sekunde, wie es ihnen gefällt, diese Wirklichkeit taucht unter wie ein Albtraum, der von einem neuen, wachen Tag abgelöst wird und verschwindet, wie nie dagewesen.
(S. 60)
Helen! Hör auf, dir etwas vorzumachen. Wir sind hier in Afrika! In AFRIKA! Verstehst du! AFRIKA!
Auch wenn es sich Europa nennt. Das hat sich zwar niemand von uns so vorgestellt, aber es ist so.
Wer hinschaut, sieht hier AFRIKA!
(S. 116)
© 2011 Folio Verlag, Wien-Bozen