Es ist (nicht) alles eins.
Innsbruck, Wien: StudienVerlag, 1997.
(Schriftenreihe Literatur des Instituts für Österreichkunde. 1).
185 S; brosch.; öS 268.-.
ISBN 3-7065-1222-X.
Die Unsicherheit bezüglich des Ortes, den Literatur in einer "medialverschalteten Welt" (Höfler, S. 55) einnimmt, verleiht dem alten Problem der literarischen Wertung eine neue Aktualität. Die jährliche Fortbildungstagung des Instituts für Österreichkunde war 1995 diesem Thema gewidmet, die Referate legt der Innsbrucker StudienVerlag nun unter dem Titel "Banal und Erhaben" vor.
Gegliedert nach thematischen Zugängen betreten neun Wissenschafter das unsichere und strittige Terrain rund um Fragen der Definition und Abgrenzung von "Hohem" und "Niederem" in der Literatur. Eröffnet wird die Debatte aus der Perspektive der Kulturphilosophie: Peter Strasser und Artur R. Boelderl spüren den sozialrelevanten Funktionen des Banalen nach, seinem subversiven Potential und dem historischen Moment, in dem Banalität als Untugend zum Thema wurde.
Dem literaturwissenschaftlichen Aspekt im engeren Sinn sind die drei großen mittleren Abschnitte gewidmet. Günther A. Höfler untersucht anhand von Texten des Literatursymposions des "Steirischen Herbstes 1989" die Möglichkeiten jener Literatur, die auf die Tradition der klassischen Avantgarde bezogen bleibt und zugleich deren Ausverkauf in Werbung und Unterhaltungsindustrie miterlebt. Die von den Autoren zwischen "postmoderne[r] Mengenliteratur" und "bildwelterzeugende[r] Kulturindustrie" (S. 59) aufgetanen Nischen seien anhand der untersuchten Texte mit Verzicht auf Fiktion und Beharren auf "Nicht-Deutlichkeit" (S. 57) zu umschreiben.
Ausgehend von den widersprüchlichen und unscharfen Definitionen der Begriffe "trivial und banal" versus "erhaben und hoch" zeichnet Franz Josef Czernin im umfangreichsten Aufsatz des Bandes einen Abriß der Mißverständnisse und Irrwege, die diese Debatten prägen. Ausführlich und luzide entwickelt er darin u. a. die Problematik der Aufwertung des "Trivialen", die aus dem Vorwurf des Elitären heraus in einem automatischen Umkehrschluß das Banale und Alltägliche als das Eigentliche und Wahre erscheinen läßt.
Mit den "postmoderne[n] Niederungen", die als Diskursgegenstand nicht weniger umstritten und unscharf sind, beschäftigen sich zwei Autorinnen. Gerda E. Moser analysiert Stilprinzipien postmodernen Kunstverständnisses entsprechend der Genese des Begriffs am Beispiel der "Neuen Staatsgalerie Stuttgart" und die Übertragung des besonderen Interesses am Formenspiel auf die Literatur, wo "die sprachliche und sprachspielerische Konstituiertheit des Literarischen" in den Mittelpunkt rückt (S. 119). Der Schlußsatz ihrer Analyse, die postmoderne neue Sprachkunst übe sich im "sprachlichen Schmuck" (S. 120), verlagert die eigentliche Frage der Beschreibbarkeit der konstatierten Phänomene in den folgenden Beitrag. Wie bereits in ihrem 1994 erschienenen Bändchen "Des Kaisers neue Kleider" und kleineren Arbeiten zur postmodernen "Plastikliteratur" listet Karin Fleischanderl argumentative Handhaben zur Bestimmung und Bewertung von literarischen Bestseller-Phänomenen der jüngsten Vergangenheit auf.
Unter dem nicht allzu einladenden Übertitel "Exempla docent" schließlich verbergen sich zwei, Autoren gewidmete Aufsätze. Wendelin Schmidt-Dengler untersucht die vexierbildartigen Kippmechanismen zwischen dem Tragischen und dem Komischen in Werken von Thomas Bernhard, Wolfgang Bauer und Ernst Jandl. Gerhard Fuchs zeigt die Problematik "aktueller Unterhaltungsbelletristik mit 'weitergehendem Anspruch'" (S. 162) am Beispiel von Romanen Josef Haslingers, Gerhard Roths und Lilian Faschingers auf. Der abschließende kurze Beitrag von Sylvia Treudl fragt nach dem Banalen (im Sinn von Alltäglichem) als Etikett wie Qualität im Zusammenhang mit der Diskussion und Produktion von Frauenliteratur.
"Nützliche Handreichungen zur österreichischen Gegenwartsliteratur" liest man am rechten oberen Rand des Titelcovers, dem ein Ausschnitt von "Modo col quale ..." von G. B. Piranesi unterlegt ist. Das ist eine gute Beschreibung der inhaltlichen Qualität des Bandes und zugleich eine Reflexion auf einen Aspekt seines Gegenstandes: In einer Epoche, "in der das Design-Bewußtsein dominiert und die alles Gestalterische als ästhetisch faßt" (Höfler, S. 54), ist die Rolle der Sprache in der "Vorstrukturierung von Wirklichkeitserfahrung" neu zu überdenken.
Evelyne Polt-Heinzl
24. Oktober 1997