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Max Bläulich: Unbarmherziges Glück.


Leseprobe:

Später wohnte die Frau Berta mit ihrer Schwester bei der Humer-Tant in der Josefiau. Die hatte die Mela im Krieg zu sich genommen, da musste sie tagein, tagaus schneidern. Die Tant hatte ein richtiges Geschäft aufgebaut. Alles schwarz, versteht sich. »Mela muss über siebzehn gewesen sein, sah verschreckt aus, doch zuckersüß. Die Amerikaner haben sich um solche Mädeln gerissen. Die Tant hat schnell erkannt, dass mit Huren viel mehr Geld zu machen ist als mit Schneidern. Geschneidert geworden ist mehr zur Tarnung. Mela hat sich nicht einmal mehr ganz anziehen brauchen. Halb nackt ist sie bei der Nähmaschine gesessen, mit einem Überwurf. Die Soldaten sind mit irgendwelchen Wäschestücken gekommen, sie hat geschwind etwas genäht, dann ist es ins Hinterzimmer gegangen. Sie hat nicht gelacht, nicht geweint, sie hat in die Ferne geschaut, wie die Juden im Bräustübel. Manchmal glaubte ich, die Mela sei irr geworden. In der Nacht sind dann die ›Neger‹ gekommen. Die haben die meisten Dollars für eine Blonde hingelegt. Dazu gab es noch Zucker, Schokolade, Zigaretten, Bohnenkaffee, Erdnussbutter, ja, was soll ich denn sagen? Bubchen, wissen Sie, die ganze Josefiau war ein einziges Bordell für die Regenbogentruppe.« Die Humer-Tant sei gierig geworden, »immens gierig nach Dollars und Erdnussbutter«, erwähnte die Frau Berta einmal, und sie habe die Humer-Tant mit dem Humer tuscheln gehört: »›Die Mela ist das Pudern eh gewöhnt. Es gibt Huren, die das eh gerne machen. Solchernen macht’s nichts aus, wenn sie die ›Negernutten‹ sind, na ja ... Und die Mela ist eine Solcherne.‹ Einmal fragte ich: ›Tant, was wird der Vater sagen?‹ ›Leben müssen wir, in den sauren Apfel beißen, vom Huren ist noch niemand krepiert.‹ Dabei hat sie sich schwer auf den Tisch gestützt: ›Herrschaft noch einmal, hört denn der Tisch nie auf zu wackeln? Wenn es euch Menschern nicht passt, ihr könnt’s auch verschwinden. Da ist die Tür!‹ Mela hat nicht einmal geweint, nur zu mir gesagt: ›Mir ist alles wurscht.‹ Sie hat’s für mich gemacht. Bei der Tant hat man alles kriegen können, was in der Josefiau gesucht worden ist, alles, was Dollars gebracht hat, von Zigaretten bis zur Abtreibung. Mela hat zu mir gesagt: ›Renn weg, wandre aus oder heirate irgendwen. Ich bin doch schon längst eine Hur. Hab mich doch dran gewöhnen müssen – schon in Anthering. Zuerst war es der Schmied, dann der Irlachbauer. War doch weniger wie ein Stück Vieh. Da krieg ich wenigstens Erdnussbutter gegen den Ekel. Irgendwann fang ich ein neues Leben an, vielleicht drüben in den USA.‹ Ich hab ihr nicht gesagt, dass ich während des Krieges vergewaltigt worden bin. Zweimal von den Unsrigen, von Soldaten, die mir die Pistole angesetzt haben. Tja, Bubchen, so ist der Lauf der Welt. Nein, ich hab ihr nichts von meinen Vergewaltigungen erzählt. Hab nur versucht, der Josefiau zu entkommen ... Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viele spätere feine Damen dort herummachten. Ihre Tante Rosa hat das sehr wohl gewusst. Die einen schafften es zur gnä' Frau, die anderen landeten in der Gosse.«

Ich fragte mich, wo der Vater der Frau Berta war. Er hieß Wendel, und wie ich erfuhr, soll er 1944 als Glaserer nach Dresden zwangsverpflichtet worden sein. Damals hatte er bereits die Sechzig überschritten. Er wurde Zeuge von Dresdens Untergang. Sah den Feuersturm, den die Phosphorbomben verursachten. Sah die brennenden Leute, die sich ins Wasser duckten und sofort weiterbrannten, wenn sie Luft schöpften. Verbrennen oder Ertrinken. Ihr Vater schrieb ihr nie etwas, das hat sie mir bestätigt, nur einmal, eben nach dem Angriff der Engländer auf Dresden, die vor- gedruckte Karte, wo nur angekreuzt werden musste: »Mir geht es gut. Vater.« Ich fand diese Karte in ihrer Dokumentenschachtel. Das war alles. Zurück kam er erst im Sommer fünfundvierzig. Da putzte sie längst im Bräustübel, er saß dort, sah ihr wortlos zu, trank und trank und trank Bier und Schnaps auf ihre Kosten. Konnte er seinen Töchtern nicht mehr helfen? Er konnte ihnen nie helfen! Nach den Schilderungen der Frau Berta war er offensichtlich stark gealtert, torkelte von einem Beisel ins andere. »Ich hab begriffen, ich bin allein.« Mir schien plötzlich, da war jemand, der längst von der Einsamkeit ausgehöhlt worden war, längst innerlich zerfressen. Vor einiger Zeit sah ich am Stamm eines Apfelbaumes im Park eine leere Raupen-puppe. Ich dachte auch an Giacomuzzis Worte, die Asylanten seien nur mehr ›Hüllen‹, die im Asyl herumkugeln. Na ja, was soll man dazu sagen. Ich dachte wieder an die Josefiau. Ich kannte die Josefiau, »das Bordell«, wie die Frau Berta sagte, ein wenig und stellte sie mir als junge Frau vor, wie sie vor dem Josefiau-Kino auf Einlass wartete. Mit einem ›Neger‹ am Arm. Oder wie sie nur mehr wegrennen wollte, panisch, im Zickzack, flüchtend vor den Geschäften der Tant, vor ihrem Vater, der mit den Fingernägeln seiner zur Faust geballten Hand auf die Tischplatte der Tant trommelte, sich das Budei Rum an die Lippen führte, den Rum in sich hineinschüttete, das Glas mit Wucht auf den Tisch haute, sich mit der Linken die Tränen aus den Augen wischte, seine Faust ballte, sich nachschenken ließ – und wenn die ersten GIs kamen, stand er auf und torkelte davon. Er ahnte, was die Humer-Tant mit Mela anstellte. Im Suff wurde Wendel sentimental, er fing an zu weinen, weinte wegen seines verpatzten Lebens, wegen seiner Frau Bella, wegen des dritten Kindes, weinte und weinte und weinte wegen des russischen Glasschmugglers und »soff und soff und soff bis zur Bewusstlosigkeit«, so vernahm ich es vom Tonband. »Es ist ihm nicht in den Sinn gekommen, dass er Mutter auf dem Gewissen hatte, wegen uns Kindern hat er geweint, hat aber nichts für uns getan, nichts für sich selbst. Oft hat er den Urin nicht mehr halten können, und schon hatte ich den Bräustübl-Geruch in der Nase.« Als ich das hörte, schaltete ich ab. Dachte wieder an die vertrocknete Hülle, die ich aus dem Geäst gezogen und zwischen meinen Fingern zerrieben hatte. Der leere Kokon fühlte sich an, als hätte ich ein trockenes Blatt zerrieben. Alles kann zerrieben werden, Blätter, Puppen, Menschen, sogar ihre Geschichten. Die am häufigsten. Es ist nicht nur so, dass die Einsamkeit uns umgibt – ich habe das im Asyl genau beobachtet –, sondern mir scheint, als krieche sie in uns herum, mache sich klein wie ein Bazillus, obwohl sie wahrscheinlich viel riesiger ist, riesiger noch als Gott. Die gemeine und hinterhältige Einsamkeit.

(S.124 ff.)

© 2014 Residenz Verlag, St. Pölten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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