Textprobe:
„Eine Flaneuse hätt ich werden können. Mit einem Hut auf dem Kopf lässig umherspazieren ohne Ziel, ohne Plan, aber den Gedanken nachgehen. Aber mit einem Hut hätten sie auf mich gezeigt, mit einem Hut auf dem Kopf bist du ja heutzutage in Mitteleuropa in einer kleinen Stadt der Volltrottel. Mit einem Hut stecken sie die Köpfe zusammen, reden über dich, zeigen womöglich mit dem Finger und lachen. Das schürt Vorurteile. Weil du anders bist, weil du dich abhebst. Und du wirst eine „persona non grata“, wenn du nicht schon ein Jemand bist. Aber wie zu einem Jemand werden, wenn dir niemand sagt, wie das geht? Wenn du nicht eine schon bekannte Besonderheit bist, die in der Zeitung steht. Selbst dann. Man weiß es nicht. Wie sie reagieren. Ob sie dich nicht an den Pranger stellen oder den Shitstorm über dich kippen, wenn dann schon mal Fotos geschossen sind und überall in den Medien verbreitet werden. Herumspazieren ist natürlich auch gefährlich. Dabei kann ich Schlendern so gut. Ich bin darin immer ein Talent gewesen. Aber du stoppst ja dann den Fluss der anderen, du bist ja ein Stein in diesem schnellen Fluss, wo alles in die eine Richtung drängt wie bei einem Wettrennen. Ein Stein, auf den man prallt, den man umschwimmen muss, ein Hindernis, ein Ärgernis. Das finden sie meistens nicht nett. Du lädst dir dann noch mehr Gerede auf. Von einem „ts ts“ und Augengerolle und mit-dem-Fuß-auf-den-Boden-Geklopfe bis zum über-den-Haufen-Rennen ist alles möglich. Außerdem kommst du leicht in den Verdacht, du seist faul oder ohne wirkliche Beschäftigung.“
(S. 20, 21)
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