"Das Feuer ...", begann Lori, "ich träumte von einer Katze, die ich in einem Zeichentrickfilm gesehen hatte. Sie ist in einem Zimmer eingesperrt, es bricht Feuer aus, ein kaputtes Bügeleisen hat es verursacht, und die Katze versucht vergeblich, sich bemerkbar zu machen. Im letzten Augenblick gelingt es ihr, aus dem Fenster zu hüpfen, und draußen treibt sich ein schwarzer Kater herum, mit dem sie fortgeht ... Trotzdem war der Film traurig, ich habe sehr geweint ..."
"Und was war danach, nach dem Feuer?" bohrte Eliza weiter wie ein Zahnarzt.
"Ich bekomme Valiumspritzen. Ich vertraue nur ihm, dem Valium, und dem Arzt. Ich schreie, damit er kommt. Er muß kommen ... Es ist wie eine Liebe."
"Valium ... Spritze ... Arzt ... Der Arzt, der Sie niederspritzt, mit Valium ..."
Lori fühlte einen leichten Schauer, als Eliza diese Worte mit einer tiefen Stimme aussprach.
"Als ich den Geruch des Valiums spürte, einen schweren Geruch, wie der von Veilchen, die in Alkohol eingelegt werden, bildete ich mir ein, jemand träte an mein Bett und sagte: 'Es regnet, die Blätter der Bäume sind grün. Sieh sie dir an.' Ich würde aufstehen und sie mir ansehen, und dann würde ich in mein Bett zurückkehren. Aber einmal geschah es, daß ich mich statt dessen nach der Spritze übergab. Von dem Tag an vertraute ich dem Arzt nicht mehr, ich vertraute niemandem mehr."
Eliza verließ kurz den Raum, und Lori stand auf. Es war ihr, als hörte sie, wie im angrenzenden Raum eine Schranktür geöffnet und etwas entnommen wurde. Sie hörte, wie eine Tablette aus einer Aluminiumverpackung gedrückt und ein Wasserhahn geöffnet wurde. In dem Augenblick versuchte sie sich vorzustellen, wie es wäre, an Elizas Schreibtisch zu sitzen, dort einzuschlafen und am Morgen wieder aufzuwachen. Dann strich sie wie eine Katze um Elizas Bücherregal herum. Auf dem Rücken eines blauen Buches stand in fliederfarbenen Buchstaben "Anti-Ödipus", und auf einem gelben Buch stand "Weltrevolution der Seele".
"Ein Flughafen ... ich fühle mich so krank, daß ich jedem, der mir entgegenrennt, in die Arme sinken will ... Da sehe ich das Buch in meiner Hand, ich halte es sehr fest, wie einen kleinen piepsenden Vogel in einem Käfig. Ich notiere das Datum und die Fluglinie, ich schreibe sie mit einem Bleistift in dieses Buch; ein dickes Buch, das ich auf Reisen immer mit mir herumschleppe ..."
"Aber ich muß wissen, was dahintersteckt ... Verstehen Sie, hinter dem Buch ..."
"Hinter dem Buch gibt es nichts", erwiderte Lori enttäuscht. "Ich möchte nie außerhalb eines Buches leben."
(S. 36 f.)
© 2002, Luchterhand, München.
Publikation mit freundlicher Genehmigung des Verlags.